Niccolòs Aufstieg
verletzte Würde geheilt und eine neue Ordnung geschaffen werden, die alle annehmen konnten und die weiterbestehen würde, wenn er nicht da war.
Dafür brauchten sie Gregorio, und deswegen widmete er diesem die meiste Zeit und besonderes Feingefühl. An den Fähigkeiten des Rechtskonsulenten gab es keinen Zweifel. Aber er mußte erst noch beweisen, daß er auch mit ihren Leuten auskommen konnte und sie verstand. Nicholas hatte sein Interesse geweckt, aber Marian merkte wohl, daß es ein zynisches Interesse war. Ehe sie ihn tiefer in die Geschäfte des Unternehmens einweihte, mußten sie sich noch seiner Treue versichern. Innerhalb der nächsten zwei Wochen, Ostern nicht gerechnet. Zusammen mit Gregorio führte Nicholas den Umbau des Unternehmens fort, mit dem er bereits begonnen hatte. Für einen Teil des neu erworbenen Grundbesitzes wurden Pächter gesucht. Der Rest wurde Arbeitern zu Instandsetzung und Neugestaltung anvertraut. Er wollte noch größere Lagerhallen, möglichst günstig zur Innenstadt gelegen. Daher blieb die Färberei unter der Leitung von Henning, Bellobras und Lippin und der Oberaufsicht Marian de Charettys auf ihrem derzeitigen weitläufigen Gelände am Kanal, wo die Abwässer und Gerüche weniger störten.
Auch die Wohnräume und ihr Kontor blieben dort. In dem teuren Haus in der Spanjaardstraat wurde die Verwaltung des Unternehmens eingerichtet. Dort hatte sie ein zweites, recht geräumiges Arbeitszimmer, wo sie Kunden oder Freunde empfangen konnte. Der größte Raum wurde zum Kontor gemacht, in dem Nicholas und Gregorio saßen. Neben zwei weiteren Schreibern wurden ein Laufjunge, eine Haushälterin und ein Mann für die schweren Arbeiten und zur Besorgung des kleinen Stalls in Dienst genommen.
Sie wußte, daß Nicholas in all diesen Dingen das Richtige tat. Es war schon früher, als das Unternehmen noch kleiner war, ein ständiger Kampf gewesen, die Bücher halbwegs auf dem laufenden zu halten, und sie selbst hatte es mit ihrem Insistieren darauf, daß Julius die Hälfte seiner Zeit Felix widme, nicht besser gemacht. Mit dem Ausbau von Astorres Truppe, zunächst auf ein Jahr, war es noch schlimmer geworden. Verträge mußten in Registern gesammelt werden, mindestens in doppelter Ausfertigung. Jeder Mann, der in Sold stand, mußte mit Namen und Heimatort eingetragen, seine gesamte Ausrüstung bis zu den besonderen Kennzeichen und der Zeichnung seines Pferds beschrieben werden. Die betreffenden Bücher stapelten sich derzeit neben den Büchern der Färberei und der Pfandleihe in Regalen. Dazu die Löwener Bücher, die geprüft und berichtigt werden mußten. Bei einer der kurzen, aber konzentrierten Besprechungen, die in diesen Tagen häufig stattfanden, hatte Nicholas gefragt, ob sie etwas dagegen habe, wenn er Cristoffels kommen lasse, damit über die Zukunft der Löwener Niederlassung entschieden werden könne.
Zu all diesen Fragen und Entscheidungen wurde auch Gregorio gehört. In die langfristigen Planungen jedoch weihte Nicholas ihn nicht ein, die unternahm er allein. Marian de Charetty meinte, über das meiste unterrichtet zu sein. Er berichtete ihr regelmäßig. Aber manchmal, wenn sie die Aufschriften auf den Briefen sah, die er nach Genf, Mailand, Venedig und Florenz sandte, konnte sie ihr Unbehagen nur schwer zurückdrängen. Dieses ganz besondere Geschäft war ein zu großer Bissen. Er beruhigte sie. Es gehe ja auf seinen Namen, und wenn es scheiterte, würden nur er und seine anderen Teilhaber darunter leiden. Trotzdem blieb sie beunruhigt.
Sie konnte sich gut vorstellen, daß nicht alles immer glattging. Bei geschäftlichen Verhandlungen ohne sie stellten andere gern seine Befugnis in Frage, entweder weil sie noch nicht von seiner neuen Stellung wußten oder ihn in Verlegenheit bringen wollten. Einmal wurde sogar ein Bote gesandt, der ihre Bestätigung einholen sollte. Sie war wütend, aber Nicholas blieb gleichmütig. So etwas sei ihm lieber, erklärte er, als die Händler, die ihm mit falschem Lächeln und falschen Zahlen kamen.
Vom Vorsteher der englischen Kaufmannsgilde hörte sie, daß Nicholas mehrmals bei Colard Mansion gewesen war, und fragte sich, ob er seinem Freund die Briefe zu schreiben gab, die er den Schreibern nicht anvertraute. Erst später, als sie einmal einige Seiten las, erkannte sie, daß seine eigene Handschrift, einst sehr flüchtig und undeutlich, sich verändert hatte und nun immer noch flüchtig zwar, aber weit deutlicher und besser zu lesen
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