Niccolòs Aufstieg
der Klinke drehte er sich noch einmal um, holte Luft, wie um etwas zu sagen, lächelte dann aber nur.
Sie hätte es dabei belassen sollen, aber sie fragte: »Was wolltest du eben sagen?«
»Ich wollte um einen Gefallen bitten. Aber ich habe es mir anders überlegt.«
Sie wurde neugierig. Der Ton seiner Stimme ließ deutlich erkennen, daß sie nicht beunruhigt zu sein brauchte. »Da du es dir nun anders überlegt hast, kannst du mir ja ruhig sagen, was es war.«
»Ich weiß nicht, welche Farbe Euer Haar hat.«
Sie spürte, wie ihre Lebensgeister erwachten. Ihr Gesicht brannte von der Hitze des Kaminfeuers. Der Blick, der schläfrig auf ihr ruhte, wies alle entwaffnenden Nuancen von Zuneigung, Übermut und fragender Bitte auf.
Marian de Charetty erhob sich von ihrem Platz am Feuer, sah Claes lächelnd in die Augen und zog die Nadeln heraus, mit denen die kürbisförmige, wattierte Haube befestigt war, die sie den ganzen Tag getragen hatte.
Morgens hatte sie keine Zeit gehabt, das Haar darunter festzustecken, wie sie es gewöhnlich tat. Sie hob das feste Haubengestell an und schüttelte den Kopf, so daß das bislang verborgene Haar ihr über Brust und Rücken und Schultern fiel. Es hatte die Farbe ihrer Ärmel: das dunkle Braun von Farbruß vermischt mit erdigen Gelbtönen und dem roten Widerschein von Zinnober. Es war das erste, was sie gelernt hatte: Stoff so zu färben, daß der Ton ihrer Haarfarbe schmeichelte. Wenn sie es abends löste, hatte Cornelis es stets mit der fließenden Seide aus dem Reich der Mitte verglichen.
Und nun betrachtete es ihr zweiter Ehemann mit ruhigem Blick und sagte nur: »Ja. Ich dachte mir, daß ich recht hätte.«
Undeutlich kam ihr zu Bewußtsein, daß er natürlich die Schattierung ihres Haars gekannt hatte. Auch wenn es bedeckt gewesen war, mußte irgendwann einmal der Haaransatz unter dem Drahtgestell zu sehen gewesen sein. Und daher war er sicher gewesen, daß es kein Grau gab, das ihr Schande machte. Es war genau die Koda, wenn auch ohne Worte, die sie gefürchtet hatte. Doch selbst wenn sie vielleicht seine Überlegungen durchschaute, konnte sie ihm den Gedanken, der dahintersteckte, nicht übelnehmen. Sie lächelte und sagte: »Nächstes Mal wird es schwarz sein. Ich wechsle die Farbe alle fünf Tage. Wozu sonst besitze ich eine Färberei?«
Er grinste. »Das wäre dann wohl ein Grund für die Annullierung der Ehe. Bis morgen.«
Er schloß die Tür, und sie setzte sich wieder, umhüllt von ihrem schimmernden Haar.
KAPITEL 29
Wäre Ostern in die Zeit zwischen der überraschenden Änderung ihrer Rechtsstellung und dem Turnier der Gesellschaft Weißer Bär gefallen, hätte Marian de Charetty es schwerer gehabt. So aber ging sie gleich am Morgen nach ihrer Heirat unbeirrt den gewohnten Geschäften in Lagerhäusern, Kontoren und auf Märkten nach, überall auf den Straßen vom Klappern der Webstühle, vom Keuchen der Pumpen und vom Rumpeln der Wagen und Karren umgeben, der Begleitmusik des hektischen Bestrebens der Stadt, in Vorbereitung auf die Gebote der Kirche und die nachfolgenden Festfreuden alle Arbeiten zum Abschluß zu bringen.
Die Leute empfingen sie natürlich schon aus reiner Neugier, und die wahren Freunde bemühten sich, ihr zu bestätigen, daß sie sich richtig entschieden hatte, auch wenn sie im stillen vielleicht anders dachten. Mancher Händler oder Kaufmann meinte, das Gespräch mit einer scherzhaften, wenn auch völlig oberflächlichen Bemerkung darüber beginnen zu müssen, daß man sich ja nun, da sie einen jungen Mann als Berater habe, in acht nehmen müsse. Leute, die mit den Adornes befreundet waren oder die Familie schätzten, waren höflich und vorsichtig.
Die Kinder waren weder das eine noch das andere. Es kam nicht allzu häufig vor, aber wenn sie hinter einer Brückenmauer, unter einer Treppe oder aus einer Türnische ein Kichern hörte, wußte sie, daß es das Echo eines Erwachsenen war: der Worte einer empörten Mutter oder einer ungläubigen Dienerin. Nur einmal tat es wirklich weh, als drei kindliche Sopranstimmen Mankebele! Mankebele! hinter ihr hersangen, den Spitznamen der legendären Wucherin und Kupplerin Isabelle Hinkebein. Sie schaute sich nicht um, wollte nicht sehen, aus welcher Familie sie kamen, und sie erzählte niemandem davon.
Nicholas war wie versprochen den ersten Morgen nach der Hochzeit in der Färberei gewesen und verbrachte seither jeweils einen Teil des Tages dort. Die Wellen in der Werkstatt mußten geglättet,
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