Niccolòs Aufstieg
war.
Neben alldem fand er auch noch Zeit für anderes. Er war jetzt Mitglied im Bogenschützenverein St. Sebastian, wo man nicht allzu wählerisch war, und nahm sich täglich eine Stunde, um sich dort im Scheibenschießen zu üben und mit den anderen Mitgliedern bekannt zu machen. Er suchte mehrmals den Inhaber der kleinen Gießerei auf, der einen Teil der von Astorre benötigten Harnische hergestellt hatte und früher Schiffsprofoß gewesen war. Und von Felix hörte sie, daß Nicholas offenbar dabei war, seine flüchtigen Kenntnisse in der Kampfkunst aufzufrischen. Wahrscheinlich, um das viele Geld zu schützen, das er zu verdienen gedachte, meinte Felix.
Der am Hochzeitstag geschlossene Waffenstillstand hatte nicht gehalten. Immer wieder einmal kam Felix zu ihr und warf ihr jeden Klatsch über Nicholas hin, den er aufgesammelt hatte. Wenn sie es nicht hören wollte, konnte sie nur das Zimmer verlassen, was sie manchmal auch tat. Bisher war kaum etwas darunter gewesen, was sie nicht schon gewußt hatte. Zum Glück war Felix die meiste Zeit außer Haus und bereitete sich auf das Turnier vor. Er hatte sich den Rest seiner Ausrüstung besorgt, alles unvernünftig prunkvoll und kostspielig, aber sie hatte es nicht beanstandet, weil Nicholas es nicht getan hatte. Während die Tage vergingen und der Beginn des Turniers näher rückte, versuchte sie, nicht daran zu denken, obwohl Felix bei jeder Mahlzeit mit blitzenden Augen die Namen der großen Kämpfer nannte, die teilnehmen würden.
Mit blitzenden Augen und voll ängstlichem Trotz. War er schon vor ihrer Heirat gefährdet gewesen, so war er jetzt in seiner Tollkühnheit doppelt gefährdet. Er tat ihr leid, und sie fragte sich, wie er mit dem Zwiespalt seiner Gefühle für sie, Verachtung einerseits und Verteidigungsbereitschaft andererseits, fertig wurde. Einmal war er mit einem Bluterguß im Gesicht nach Hause gekommen, dessen Herkunft er aber nicht erklärt hatte. Und die Frau eines ihrer Kunden hatte ihr bewundernd berichtet, wie Felix neulich für seine Mutter eingetreten sei, als eines dieser schlecht erzogenen jungen Mädchen aus Damme ausfallend geworden sei. Die Tochter des Pfandleihers sei es gewesen. Die Tochter Oudenins.
Zu Hause war Felix mit seinen Schwestern zusammen oder mit Henning und seinen Leuten. Gregorio, von dem er annahm (mit Recht, wie sie vermutete), daß er dabei war, sich auf Nicholas’ Seite zu schlagen, übersah er. Nicholas würdigte er keines Wortes, beobachtete ihn aber oft über längere Zeit. Immer war dann in seinem Auge ein Blick, der Marian eigenartig an Cornelis erinnerte. Ein berechnender Blick.
Zu Ostern hatte sie niemanden eingeladen, seit Cornelis’ Tod lebte sie ohnehin sehr zurückgezogen. Aber sie erhielt Einladungen. Eine von den Adornes, die sie baten, den Tag bei ihnen im Hotel Jerusalem zu verbringen. Tilde und Catherine begleiteten ihre Mutter und Nicholas. Felix hatte eine andere Verabredung. Man kam ihnen mit ruhiger Freundlichkeit entgegen, und sie war dankbar dafür.
Im Haus Wolfaert van Borselens war das ein wenig anders. Schon weil er mit einer schottischen Prinzessin verheiratet war, mit einer der sechs königlichen Schwestern, die den schottischen König mit halb Europa verschwägern sollten - mit Frankreich und Savoyen, der Bretagne, Tirol und Seeland.
Marian de Charetty war der Prinzessin und ihrem Ehemann vorgestellt worden und wußte, daß sie auf ihrem Landsitz in Veere großen Aufwand trieben und in ihrem imposanten hochgiebligen Haus in Brügge, wo sie und Nicholas zum Abendessen eingeladen waren, stets auf Förmlichkeit hielten.
Als der Tag kam, stand Marian inmitten der um sie ausgebreiteten Gewänder in ihrem Schlafzimmer und bedachte, was sie erwartete. Vermutlich würde sie mit Charles, dem achtjährigen Sohn des Paares, Zusammentreffen. Wahrscheinlich auch mit Louis de Bruges, Seigneur von Gruuthuse, dessen Frau eine van Borselen war, und vielleicht mit Guildolf, dem bisher noch unverheirateten Verwandten der Gruuthuse. Florens van Borselen und seine Frau würden dasein, allerdings ohne ihre Tochter Katelina, die sich ja in der Bretagne aufhielt. Sie erinnerte sich an den Vorfall in Damme, bei dem das junge Mädchen eine Rolle gespielt und der für Nicholas mit einer Tracht Prügel geendet hatte.
Felix, Julius und Claes. All der Ärger, den sie gemacht hatten.
Ihre Augen waren feucht. Entschlossen wandte sie sich der Kleiderwahl zu, die keine kleinere Qual bereitete. Ihr bestes Kleid,
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