Niccolòs Aufstieg
»Ich wollte ihn Astorre überlassen«, erklärte er. »Sind sie sich schon begegnet?«
Durch die Erinnerung abgelenkt, ließ sich Julius zu seinem unwiderstehlichen Lächeln herbei. »Gleich am ersten Morgen. Das Treffen endete unentschieden. Nein, mit Vorteilen für Astorre. Er hatte mehr zu verteidigen als Lionetto. Aber bisher blieb es bei einem Wortgefecht.«
»Sie stehen schließlich auf derselben Seite«, sagte Nicholas vage. »Wird Astorre denn bei Charetty bleiben wollen?«
»Wenn du ihn ordentlich behandelst, wird er sicher bleiben, ja.«
»Und Ihr?« fragte Nicholas und wartete.
Julius sah ihn nicht an. Sein Blick war auf den Kampfplatz gerichtet, der jetzt das Bild eines regelgerechten Turniers bot. Der grüne Rasen zwischen den Schranken war eben und leer. Zu beiden Seiten des Platzes warteten die Kämpfer in Helm und Harnisch. Die Sonne blitzte auf erhobenen Trompeten, und die Luft bebte von Trommelwirbeln.
Julius drehte sich herum. »Ich bleibe. Bis ich herausbekommen habe, wie du es machst.«
»Was?«
»Geld. Was hast du denn geglaubt? Da ist Felix!«
Von da an schwiegen sie beide und schauten nur noch zu.
Den Sieg des Tages trugen Graf Federigos Streiter davon, Felix blieb unversehrt. Sein schmutzverschmiertes, aber strahlendes Gesicht unter dem Lorbeer wirkte wie verklärt, als er im Zug der Sieger vorbeimarschierte, der von den Trommlern, Pfeifern und Trompetern beider Heere angeführt wurde. Loppe ging in charettyblauer Seide hinter ihm und trug den Preis, eine Börse mit Goldmünzen.
Der Zug umrundete zweimal den Platz und löste sich dann auf. Wie das Rote Meer vor den Israeliten teilte sich die Menge der Zuschauer und zog sich zurück, die eine Hälfte den Hügel hinauf, die andere zu den Zelten in der Ebene. Eilig begannen die Handwerker den Turnierplatz abzubauen. Nach kurzem Gruß entfernten sich die Befehlshaber mit ihrem Gefolge unter wehenden Fahnen und Trommelwirbeln in entgegengesetzte Richtungen. Felix brach aus dem Zug, sobald dieser ins Lager einzog, und nahm schreiend und lachend die wohlwollenden Rippenstöße seiner Freunde hin, ohne Loppe und die Börse aus den Augen zu lassen.
Tobias war nicht da.
»Natürlich nicht«, sagte Felix. »Habt ihr es denn nicht gesehen?«
Da sie nicht so privilegiert waren wie er, hatten sie es nicht gesehen.
»Aber habt ihr es denn nicht gehört?« rief Felix verwundert. »Einer der Mailänder hat die Herrschaft über sein Pferde verloren und preschte genau in dem Moment quer über die Kampfbahn, als de Marsciano losgaloppierte. Sie wären beinahe zusammengestoßen. Wahrscheinlich wären sie jetzt beide tot, wenn Graf Federigo nicht eingegriffen hätte. Er sprengte mit seinem Schlachtroß dazwischen und zwang das Tier des Mailänders, abzuschwenken. Aber sein eigenes Pferd machte einen solchen Satz, als er ihm die Sporen gab, daß es ihm praktisch das Rückgrat brach. Er ist noch aus dem Sattel gekommen, aber er kann sich nicht bewegen und hat teuflische Schmerzen.«
»Graf Federigo?« fragte Thomas.
Astorre, der sich gerade vorbeidrängen wollte, machte neben ihm halt. »Was steht Ihr hier herum? Jongeheer Felix, laßt Euch aus der Rüstung helfen und abtrocknen. Graf Federigo? Er ist nicht tot. Er hat sich nur was am Rücken geholt, da tut jede Bewegung weh. Meester Tobias und Meester Gottschalk kümmern sich um ihn. Wir haben auf jeden Fall unseren Preis. Messer Alessandro hat ihn überreicht. Eine dicke Börse, von der Familie Charetty erkämpft. Ein dreifach Hoch auf…«
»Reine Zeitverschwendung«, unterbrach Julius. »So wie ich Felix kenne, wird er nicht einen Groschen herausrücken. Was fangen wir jetzt ohne unseren Anführer, den Grafen von Urbino, an?«
»Alessandro Sforza übernimmt das Kommando«, sagte Nicholas. »Der Bruder des Herzogs von Mailand und Schwiegervater von Graf Federigo.«
»Es heißt«, bemerkte Julius, »daß Alessandro auf Kampf brennt. Glaubst du, er wird etwas anzetteln?«
»Ich weiß es nicht«, antwortete Nicholas. »Auch wenn ich versuche, mich Astorre zuliebe dafür zu interessieren. Ich möchte jedenfalls von hier verschwinden, bevor etwas geschieht. Und ich hoffe, daß Tobias mitkommt, sobald er den Grafen kuriert hat. Felix wird dann vielleicht endlich auch mit seinen Lorbeeren nach Brügge zurückkehren wollen.«
Er wartete.
»Tobias?« fragte Julius.
»Wir haben Geschäfte miteinander. Er ist beinahe so gut wie Ihr. Von Abführmitteln versteht er mehr.«
»Danke«, sagte Julius.
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