Niccolòs Aufstieg
und verfaulenden Pflanzen aus dem Schlick. In der Nähe der Brücke (wo jetzt Simon von Kilmirren vorübereilte) überprüften und schmierten die Kranwärter den Grue genannten Stadtkran, was sie nur nachts tun konnten, wenn die Geschäfte ruhten.
In flackerndes Laternenlicht getaucht stand das hölzerne Ungetüm da, den Schnabel gen Himmel gereckt, mit den zwei spitzgieblig überdachten Tretmühlrädern und den beiden großen, baumelnden Haken. An der obersten Spitze hatte man, warum auch immer, eine Nachbildung des Vogels angebracht, nach dem es benannt war, und auf der langen Schräge des Kranhalses hockten noch weitere kleine, einbeinige Kraniche, denen wenigstens bei Nacht das zänkische Gedrängel der Möwen erspart blieb. Den Einwohnern von Brügge wie auch den regelmäßigen Besuchern war der Kran genauso vertraut wie der Belfried, die schottischen Diener des schönen Simon würdigten ihn keines Blicks. Nur einer der Männer mit den Filzkappen, die in den Treträdern des Krans lagen, pfiff und wies den anderen mit einer so ruckartigen Kopfbewegung auf Lord Simon hin, daß ihm ein Tropfen Öl auf die Wange spritzte und er leise fluchte. Keiner der beiden unterbrach die Arbeit, wozu auch, jeder, der nachts in Brügge unterwegs war, kam früher oder später wieder am Kran vorbei.
Beim Gasthaus, das Eigentum Jehan Metteneyes war, mußte einer der Kilmirren-Leute am Glockenstrang ziehen, um die Tür zum Innenhof öffnen zu lassen, und im Schein der Laterne bot Lord Simon dem Pförtner einen interessanten Anblick. In dem Zimmer, das er mit Napier und Wylie sowie einigen anderen Kaufleuten aus Schottland teilte, hielt sich um diese Zeit normalerweise niemand auf, doch vor dem Speisezimmer begegnete er George Martin, dem Verwalter Bischof Kennedys, sowie Metteneyes Frau; dann stolperte er regelrecht über John of Kinloch, den Kaplan der Schotten, der gerade aus dem Schlaftrakt kam und soeben das letzte Waschwasser aufgebraucht hatte. Eine gute halbe Stunde dauerte es, bis er in angemessener Aufmachung nach unten gehen und sein Abendessen zu sich nehmen konnte, in dessen Verlauf er die unterhaltsameren Einzelheiten seiner Abenteuer vor den anderen Kaufleuten zum besten gab. Die Anwesenheit des Kaplans John von St. Ninian war ihm unangenehm, daher zwang er sich, ihm gegenüber besonders liebenswürdig zu sein.
Doch schon jetzt wußte er ohne jeden Zweifel, wie er den Rest des Abends verbringen wollte. Die Unterlagen, mit denen er sich eingehend beschäftigen mußte, ehe er seinen ersten Kauf tätigte, hatte er bereits mit nach unten gebracht. Von Demoiselle Metteneye erbat und erhielt er die Erlaubnis, das Kontor seines Gastgebers, in dem sich ein Schreibtisch und eine Lampe befanden und wo Jehan seine Hauptbücher und seine Geldschatullen aufbewahrte, zu benutzen.
Diese war fünfzig, und ihr Lächeln ließ ihn zusammenzucken, doch er erwiderte es; sie stutzte den Docht der Lampe, holte ihm einen bequemeren Stuhl und fragte dann, ob er noch etwas brauche. Er verneinte, änderte jedoch sogleich seine Meinung und fragte, ob Mabelie ihm wohl eine Flasche von dem Wein, den sie eigens für ihn aufbewahrte, bringen könne. Etwas gewagt, aber es war den Versuch wert, denn es war unwahrscheinlich, daß Jehan seine Frau den Weg zweimal machen ließ.
Er entrollte seine Aufzeichnungen und klappte das Tintenfaß auf, machte jedoch, nachdem die Tür sich geschlossen hatte, keinerlei Anstalten, zu lesen oder zu schreiben. Wie jedesmal, wenn er in eine Stadt zurückkam, hatte er vorher die Geschichten seiner früheren und seiner geplanten Eroberungen im Kopf durchgespielt, um sie, ein wenig in müßiger Vorfreude, in der Reihenfolge, wie er vorzugehen gedachte, anzuordnen.
Diesmal stand Mabelie ganz oben auf der Liste. Er hatte sie gegen Ende seines letzten Aufenthalts bei den Metteneyes entdeckt, eine bezaubernde Jungfrau von erregender Unschuld. Ein Zustand, aus dem er sie, mit ungewohntem Vergnügen, befreit hatte. Ja sicher, sie war ein Dienstmädchen: eine der unzähligen armen Verwandten oder Kind von Verwandten, die das Heer der Bediensteten in jedem gutbürgerlichen Haus stellten. Daher hatte es keine Eile, einen Ehemann für sie zu finden. Er hatte auf dem Weg hierher gehofft, daß sie noch hier wäre. Und es hatte ihn seltsam berührt, als er das Mädchen mit dem Zopf am Ufer sah, immer noch mit strahlenden Augen, immer noch errötend.
Bei seinem letzten Besuch war sie hierher zu ihm gekommen, und später hatte er,
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