Niccolòs Aufstieg
beiden wunderbarsten Momente im Jahreslauf eines Kindes, die sie in Schottland am meisten vermißt hatte. Nach denen sie sogar mehr Sehnsucht hatte als nach dem weiten Himmel, dem Wasser und dem warmen bunten Backstein.
»Ab und zu«, sagte Katelina. »Nehmt Ihr noch etwas Wein, Monseigneur?«
Simon blieb zum Abendessen und war geistreich. Ihrem Vater hätte es besser gepaßt, dachte Katelina, wenn er auf die Gespräche des Nachmittags zurückgekommen wäre, Fragen gestellt, seine Meinung über die Anwesenden geäußert und vielleicht ein wenig Klatsch aus Schottland aufgetischt hätte.
Aber das wußte Simon natürlich. Also war er offenbar sicher, daß ihr Vater ihm seinen Segen geben würde, wenn er darum bat (oder hatte er ihn vielleicht sogar schon?), und hatte daher beschlossen, lieber sie zu beeindrucken. Woraufhin sie sich eine ganze Weile bemühte, unbeeindruckt zu bleiben. Aber er hatte eine bemerkenswert zwanglose Art, brachte den Hauskaplan ihres Vaters zum Lächeln, tauschte mit dem Sekretär kleine Anekdoten aus und lockte ihren Vater und sie aus der Reserve, indem er vom Hof in Veere erzählte, wo seine Schwester Lucia einmal Hofdame der schottischen Prinzessin gewesen war. Ihr Vater erkundigte sich nach dieser Schwester, die einen Portugiesen im Gefolge der Herzogin geheiratet hatte und jetzt in der Wärme Südportugals zu Hause war. Das Paar hatte, wie sich herausstellte, einen kleinen Sohn, und Lucia war glücklich.
»Glücklich so weit von der Heimat? Seid Ihr sicher?« fragte Katelina mehr in übermütiger Herausforderung, doch Simon antwortete ihr mit ruhiger Ernsthaftigkeit.
»Euch hat in den drei Jahren in Schottland Euer Zuhause gefehlt. Aber die Ehe ist eine Verpflichtung. Sechs Schwestern meines Königs hat es in alle Teile Europas verschlagen. Ihr wißt, daß die Prinzessin in Veere dennoch glücklich ist. Und ebenso glücklich sind die anderen, bis auf die zwei, die nach Schottland zurückgesandt wurden. Fragt sie, ob sie froh sind, wieder in Schottland zu sein oder nicht.«
»Leben sie noch?« fragte Katelina.
»Aber, Katelina!« warf ihr Vater ein. »Das ist unhöflich. Diese Frauen halten in Treue zu ihren Ehemännern, ganz wie sich das geziemt, und führen ohne Murren das Leben, das die Pflicht ihnen auferlegt. Ob das Land um sie herum warm oder kalt ist, lieblich oder rauh, hat keine Bedeutung.«
»Auch nicht, ob die Ehemänner warm oder kalt, lieblich oder rauh sind?« entgegnete Katelina. »Das muß Bedeutung haben, sonst wären die Klöster alle leer.«
Der Kaplan verzog säuerlich den Mund, ohne jemanden anzusehen. Und ihr Vater sagte: »Demoiselle, Takt und Anstand habt Ihr auf Euren Auslandsreisen offensichtlich nicht gelernt. Das ist kein Tischgespräch. Lord Simon wird Euch entschuldigen.«
Sie stand langsam auf. Simon tat es ihr nach und ergriff ihre zur Faust geballte Hand, um ihr hinter ihrem Stuhl hervorzuhelfen. »Monseigneur«, sagte er, »Euer Gast Simon bittet Euch, ihn ebenfalls zu entschuldigen. Draußen im Garten wartet ein schöner Sonnenuntergang, der unser beider Gemüter gewiß beruhigen wird, wenn einer Eurer Diener uns begleitet.«
Einen Moment blieb es still, dann nickte Katelinas Vater und winkte einem der jüngeren Bediensteten, dessen Augen voll Neugier blitzten. Sie dachte daran, ihrem Vater und Simon einen Korb zu geben, ihr war nach Rebellion zumute. Sie war der väterlichen Autorität lange Zeit entzogen gewesen, und das Bild ihres letzten Freiers stand ihr noch deutlich vor Augen. Als sie aus dem Zimmer ging und durch die gefliesten Korridore, war sie immer noch hin- und hergerissen. Es ärgerte sie, daß er weiter ihre Hand hielt und daß der Duft, der aus seinen Kleidern aufstieg, angenehm war und sein Haar genau die Farbe hatte, die sie selbst sich einst von der Jungfrau Maria inständig gewünscht hatte.
Als der Diener die Tür zum Garten öffnete, wollte sie Simon ihre Hand entziehen und fühlte sie zu ihrer Bestürzung festgehalten. Doch er behielt sie nur lange genug in der seinen, um ihre Finger an die Lippen zu führen, dann gab er sie frei und folgte Katelina gesittet in den Garten. Der Diener zog sich zurück, außer Sicht, aber sicher nicht außer Hörweite, vermutete Katelina. »Warum seid Ihr nach Flandern gekommen?« fragte sie.
Er war stehengeblieben. Im Haus hinter ihnen waren die geschlossenen Läden der Fenster von gelbem Lampenlicht umrandet. Nur das Küchenfenster, in dem eine Katze saß, stand offen. Vor ihnen
Weitere Kostenlose Bücher