Niccolòs Aufstieg
ist sein Geheimnis. Zweifellos handelt es sich um irgend etwas, das sie gemeinsam ausgeheckt haben. Was meint Ihr, ist man sicher, wenn man da hinausgeht?«
Anselm Adorne drehte den Kopf und ließ seinen Blick zwischen dem bleichen Gesicht Felix de Charettys und dem arglosen des Lehrlings hin und her wandern. »Ja, sagt es uns«, forderte er die beiden jungen Männer auf. »Kann man unbesorgt da hinausgehen?«
Claes und Felix sahen einander an, und Julius schloß die Augen.
Die Miene des Lehrlings war nicht ganz unbekümmert. Sie schien leicht getrübt von der bangen Unsicherheit eines Menschen, der sich bemüht hat, gefällig zu sein, und dafür Zuneigung erhofft.
»Eigentlich schon«, sagte er. »Wenn alles nach Plan gegangen ist, kann man unbesorgt da hinausgehen, Monsignore. Meester Julius, ist es wahr, daß -«
»Mein Wams ist ruiniert«, schimpfte Lionetto.
Der Doktor war verschwunden.
»Meester Julius -«
»Hab ich das richtig verstanden«, schimpfte Lionetto weiter, »daß dieser Halunke an der Schweinerei schuld ist, die mir mein Wams versaut hat?« Seine Bewunderung für Claes hatte offensichtlich eine drastische Einbuße erlitten.
Niemand antwortete. Anselm Adorne hielt den Blick mit hochgezogenen Brauen auf Julius gerichtet. Felix starrte mit halboffenem Mund Claes an. Und Claes sagte zum dritten Mal: »Meester Julius, ist es wahr, daß die Herrin aus Löwen kommt? Und mit ihr der Hauptmann Astorre?«
»Ja, es ist wahr«, antwortete Julius kurz.
»Oh!« Claes riß die Augen auf.
»Astorre!« zischte Lionetto. »Astorre!« wiederholte er mit anschwellender Stimme. »Dieser Klotz, der vor Dummheit kaum laufen kann, kommt nach Brügge, während ich mich hier aufhalte? Ist er vielleicht lebensmüde? Oder geht er etwa auf Freiersfüßen und hofft, daß er sich nach den verlorenen Schlachten bei der Witwe in der Färberei einnisten kann? Ist er darum hier?«
Anselm Adorne drehte sich herum. »Er steht bei der Witwe de Charetty in Diensten, Hauptmann. Mir scheint, Euer Wams ist schmutzig geworden. Es wäre vielleicht geraten, daß sich jemand darum kümmert. Draußen ist der Weg frei, denke ich.«
Julius sagte: »Mijnheer, man weiß noch nicht, wie es zu dieser Geschichte gekommen ist.«
Adornes Lächeln war erloschen. »Aber ich denke, man wird es sehr bald wissen«, entgegnete er. »Es wird das beste sein, Meester Julius, wenn Ihr Euren Schüler und Euren Lehrling nach Hause bringt und mit ihnen dort bleibt, bis Eure Dienstherrin eintrifft. Ich könnte mir denken, daß Ihr einiges von ihr zu hören bekommen werdet. Und dann vielleicht auch von uns.«
»Meester Julius hatte nichts damit zu tun«, rief Felix. »Überhaupt nichts. Und Claes war im Gefängnis.« Er hatte einen roten Kopf bekommen.
»Zur Kenntnis genommen«, sagte Adorne. »Wir werden uns wie immer bemühen, für Gerechtigkeit zu sorgen. Es ist nur schade, daß das gar so oft nötig ist.«
Aber er sah dabei keineswegs Julius an, sondern den Griechen.
KAPITEL 6
Binnen einer Woche traf die Witwe Charetty beim Genfer Tor in Brügge ein und passierte die Brücke sowie die klug angelegten festungsartigen Verteidigungswälle, um die Angelegenheit ihres ungebärdigen Sohns Felix zu klären. Ihre unverheirateten Töchter, elf und zwölf Jahre alt, ritten neben ihr. Es folgten fünf von Pferden gezogene Wagen, ein Hufschmied, ein Zimmermann, zwei Schreiber, drei Bedienstete, ein Koch und ihre Leibgarde, angeführt von einem Söldner namens Astorre, dessen ursprünglicher Name Syrus de Asteriis seit langem so abgekürzt wurde.
Da die Ankunft der venezianischen Flandern-Galeeren kurz bevorstand, hätte Marian de Charetty ohnehin kommen müssen. Jahr für Jahr unternahm sie diese Reise, die sie durchaus nicht vergnüglich fand. Ob von Löwen nach Brüssel, von Brüssel nach Gent oder von Gent nach Brügge, auf den Straßen herrschte genauso dichter Verkehr wie auf den Kanälen, allerdings kam man schlechter voran angesichts all der von Ochsen gezogenen oder zusammengebrochenen Karren und der von Gastwirten gestreuten Gerüchte, hinter der nächsten Hecke lägen Räuber.
Das war natürlich meist Unsinn. Zudem konnte es den Charettys egal sein, denn sie besaßen eine eigene Leibgarde. Besser noch, eine eigene Söldnertruppe. So hatte sie niemand belästigt, und sie waren nun endlich in Brügge angelangt. Für ihre Ankunft hatte Marian de Charetty sich in einen prächtigen, dunkelvioletten Umhang gehüllt, dazu trug sie eine extravagante
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