Niccolòs Aufstieg
lächelte gequält. »Das kann ganz amüsant werden. Es ist eher Claes, der einem leid tun sollte. Armer Kerl. Acht Jahre sind vergangen, und schaut ihn Euch an. Sie werden froh sein, daß sie ihn damals loswurden.«
»Ihr habt dem Jungen in Sluis das Leben gerettet. Er scheint an Euch zu hängen. Hat er Angst? Wie wird er dieser Familie entgegentreten?« fragte Tobias.
»Lächelnd«, erwiderte Julius.
Der Arzt hob die Augenbrauen und stützte die Hände auf die Knie. »Das klingt, als wäre er recht einfältig. Doch nach allem, was ich höre, kann er höchst einfallsreich sein, wenn er will.«
»Ja, natürlich«, erwiderte Julius gereizt. »Als Felix’ Diener hat er Lesen und Schreiben gelernt und dies und jenes in den Vorlesungen in Löwen aufgeschnappt. Die Witwe ist streng, hat ihn aber nie am Lernen gehindert. Ich selbst habe ihn unterrichtet. Er kann gut mit Zahlen umgehen. Das beherrscht er sogar am besten.«
»Und ist immer noch Färberlehrling?«
Julius’ Verärgerung wich Heiterkeit. »Könnt Ihr Euch Claes als Schreiber vorstellen? Da wäre im Nu jede Kanzlei leer. Er liebt sein Leben und ist glücklich. Manchmal wünschte ich, er wäre es nicht. Er läßt zu, daß andere mit ihm machen, was sie wollen. Wenn er ruhiger wäre und sich etwas Mühe gäbe, könnte er sich wenigstens manchmal gegen sie wehren.«
Das Interesse des Arztes wuchs. »Und dieses plötzliche Soldatenleben? War das seine Idee? Oder die einzige Möglichkeit der Demoiselle, ihn loszuwerden?«
»Oh, die Demoiselle«, sagte Julius. »Die Stadt Brügge hat sich bei ihr beschwert. irgend jemand mußte ihn zurechtstutzen. Und jetzt lernt er wenigstens, sich zu verteidigen.«
»Das sehe ich. Hoffentlich gehen mir die Salben dabei nicht aus. Und was, wenn er eines Tages zum Angriff übergeht?«
»Wenn er das nur täte, wir alle wünschen es«, entgegnete Julius. »Meine Unterstützung ist ihm sicher. Und eins sage ich Euch, wenn er es tatsächlich darauf anlegte, wäre ich nicht gern sein Opfer.«
»Ja, da stimme ich Euch zu«, meinte Tobias nachdenklich. »Er ist ein großer Bursche, dieser Claes. War das wirklich klug von der Demoiselle, ihm statt des Färberstocks ein Schwert in die Hand zu geben?«
Julius machte sich nicht die Mühe zu antworten. Claes war Claes. Julius kannte ihn, Tobias nicht. Man konnte nichts weiter tun, als ihn ständig antreiben und hoffen, daß er eines Tages aus eigenem Antrieb handelte.
Am nächsten Tag ritten sie durch die Tore von Genf, am Horizont glitzerten die verschneiten Alpen, und der Wind blies ihnen ins Gesicht. Die Stadt, die sich an den steilen Hang über der Seespitze klammerte, war nicht besonders groß, doch am richtigen Ort erbaut: wo Straßen und Flüsse nordwärts gen Frankreich, im Südosten nach Italien, im Süden nach Marseille und zum Mittelmeer führten und die Kaufleute aus all diesen Regionen sich trafen, Waren tauschten und Geld ausgaben. Die großen befestigten Steinhäuser mit ihren turmhohen Treppen und den weitläufigen Kellergewölben gehörten den Kaufleuten. Unten am See erstreckten sich gepflegte Kais, im Molard, nahe der Madeleine, fanden sich Schenken, Lagerhäuser sowie sorgfältig gezimmerte Marktbuden und weiter oben, rund um St. Pierre, reihenweise Kanzleien. Die Bürgerhäuser hingegen waren schmalgieblig und nur aus Holz. Nicht alle in der Stadt hatten teil am Reichtum der Kaufleute.
Doch nicht nur von Handeltreibenden war Genf umringt, auch von Plünderern. Derzeit herrschten die Herzöge von Savoyen über die Stadt, beriefen die Bischöfe und ernannten ihre Söhne zu Grafen von Genf. Aber auch Frankreichs wankelmütiger König hatte ein begehrliches Auge auf die Märkte geworfen, die den Handel vom französischen Lyon abzogen. Der Herzog von Savoyen seinerseits verhielt sich nicht immer weise. Er hatte den Dauphin, den seinem königlichen Vater entfremdeten Sohn, unterstützt, der jetzt in Burgund Zuflucht fand. Er hatte die Heirat des Dauphins mit Charlotte zugelassen, seiner eigenen reizlosen jungen Tochter. In regelmäßigen Abständen setzte der König von Frankreich deswegen den Herzog von Savoyen unter Druck, und in ebenso regelmäßigen Abständen beendeten Savoyen und Genf ihre Intrigen und gaben nach. Sie waren zu angreifbar, um in dieser Sache mutiger zu sein.
Aus diesem Grund neigten Handelsleute, die sich gelegentlich mit Bankgeschäften befaßten, und Bankiers, die sich gelegentlich mit Handelsgeschäften befaßten, dazu, auch anderswo
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