Niccolòs Aufstieg
Tatsachen auch hier verblüfftes Schweigen hervorriefen.
»Lord Simons Vater?« fragte Marian de Charetty.
»Jordan de Ribérac. Er war heute abend auf dem Bankett. Wie ich hörte, lebt er in Frankreich.«
»Und er teilt die … Haltung seines Sohns Claes gegenüber?«
»Ja, soweit ich weiß.« Sie wandte sich wieder an den Lehrling, der sich nicht mehr am Gespräch beteiligt hatte. »Ich muß mich bei dir entschuldigen. Ich habe Lord Simon eine Äußerung von dir - eine wenig schmeichelhafte - wiederholt. Zwar habe ich ihm die Quelle nicht genannt, aber er hat sie anscheinend entdeckt. Daher rührt ein Teil seines Zorns gegen dich. Es tut mir leid.«
Er machte eine kleine Bewegung, lächelte dann flüchtig. »Das ist nicht nötig. Wenn es die Worte sind, an die ich denke - die habe ich ihm bei anderem Anlaß selbst ins Gesicht gesagt. Und das war eine Situation, die ihn viel zorniger gemacht hat als alle Worte. Macht Euch keine Gedanken. Und vor allem, überwerft Euch nicht meinetwegen mit Lord Simon oder seinem Vater.«
Katelina starrte ihn an und sagte, ihre Erziehung vergessend: »Ich brauche dich weiß Gott nicht als Grund für ein Zerwürfnis mit diesem sauberen Paar. Wäre ich beim Magistrat von Brügge, ich würde beide ausweisen.«
Er antwortete nichts, lächelte auch nicht.
»Du solltest dich jetzt bei der Dame bedanken, Claes, und wieder in dein Zimmer gehen«, sagte Marian de Charetty sanft. »Madame Katelina? Würdet Ihr ihn entschuldigen?«
Er hatte die ganze Zeit gestanden. Sie hätte daran denken müssen, daß er krank gewesen war. Aber Handwerksburschen forderte man nicht auf, sich zu setzen, höchstens unter Kindern, »Es tut mir leid«, sagte sie. »Hoffentlich wirst du schnell ganz gesund. Ich wünsche dir viel Erfolg in deinem neuen Metier.«
Er dankte ihr kurz und ging. Katelina starrte in den Wein, den die Witwe ihr eingeschenkt hatte. »Ich kann mir denken, daß Ihr ihn vermissen werdet. Er ist ja trotz allem Ärger ein charmanter Bursche.«
Darauf war es eine Weile still. Dann sagte Marian de Charetty: »Ja. Er ist ein ungewöhnlicher Mensch. Das schlimme ist … das schlimme ist, daß er sich nicht schützen kann.«
Katelina lächelte. »Das wird sich bald ändern. Aus ihm wird ein guter Soldat werden.«
»Nein.« Die Witwe zog die rotbraunen Brauen zusammen, bemüht, sich verständlich zu machen. »Es ist nicht so, daß er sich nicht schützen kann; er tut es nicht. Er ist wie ein Hund. Er hält jedermann für seinen Freund.«
Aber Gedanken wie diese widmete man doch nicht einem Lehrling. Und wenn, so sprach man nicht mit anderen darüber. »Nach allem, was ich höre, auch jede Frau«, bemerkte Katelina lächelnd. »Ja, es wird wirklich Zeit, daß er aus Brügge fortkommt und Vernunft lernt. Nun sagt mir noch, was für Pläne habt Ihr mit Eurem Sohn? Wie sieht es mit Felix aus?«
Sie ahnte nicht, wie lange Marian de Charetty nach ihrem Weggehen noch an der offenen Haustür stand und in den verlassenen Hof hinausblickte, ehe sie schließlich die Tür schloß und in ihr Zimmer zurückkehrte.
Auf dem Weg kam sie an der Treppe zu den Lehrlings räumen vorüber und blieb einen Moment stehen, als wollte sie die Beschaffenheit der Stille erfassen, die oben wie unten jeden Winkel ihres Hauses erfüllte.
Dann ging sie weiter, zurück in ihr Zimmer, setzte sich auf den Lehnstuhl, nahm ihre Papiere zur Hand und breitete sie aus.
KAPITEL 10
Eine mutige kleine Geschäftsfrau, diese Marian de Charetty, tuschelten die Bürger von Brügge untereinander. Schickt doch tatsächlich ihren Hauptmann und die besten ihrer Leute vor Weihnachten über die Alpen. Und sogar ihren Rechtskonsulenten, der wahrscheinlich besser über ihr Unternehmen Bescheid weiß als sie. Zudem hat sie die Medici, Doria und Strozzi sowie andere Kaufleute, die südwärts reisen mußten und unbehelligt bleiben wollten, überredet, ihre Waren und Briefschaften diesem Astorre anzuvertrauen. Ein Wagnis, das ihr Ehemann nie eingegangen wäre, meinten ihre Freunde und drückten das glattrasierte Kinn in ihren Pelzkragen. Aber ein Wagnis, das ihr ein ordentliches Vermögen bescheren könnte, falls sie zurückkämen.
Julius, der fragliche Konsulent, machte sich weit weniger Sorgen. Es war wohl lästig, doch wiederum auch nichts Erstaunliches, die Berge im Winter zu überqueren, und der kleine, krummbeinige und zu Gewalttätigkeit neigende Astorre war überaus erfahren in diesen Dingen. Wie ungeordnet die Ansammlung von
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