Niccolòs Aufstieg
funkelnden Helmen, Brustharnisch und Beinzeug unter dem Banner Astorres, dessen Profil durch das Naseneisen seines Helms erstaunlich an Würde gewann, vor allem wenn man an das grausam entstellte Gesicht darunter dachte.
Auf dem Weg nach Genf gesellte sich Claes auch einmal zu den Bogenschützen. Dabei stellte sich heraus, daß er sehr genau zielen konnte, was ihm ein wenig Erholung von den Schlägen verschaffte. Dies währte einen Tag lang, an dessen Ende ihm allerdings ein Ausbruch verrückter Erfindungswut eine Tracht Prügel von Astorre höchstpersönlich einbrachte. Doch die Wirkung war gering. Claes war genesen, denn seine überschäumende Energie war offensichtlich wieder da. Das geschah in der Nacht vor ihrem Einzug in Genf. Nachdem sie es sich in einem Gasthof bequem gemacht hatten, warf der Arzt Julius’ Afrikaner eine Phiole mit einem Rest Salbe zu und befahl ihm, ein wenig davon auf Claes’ Wunden zu schmieren. Der Mohr, der eher auf Loppe als auf Lopez hörte, schien verstanden zu haben und zog ab.
»Ihr kennt Genf recht gut, ich ebenfalls. Aber wie werden diese beiden, Loppe und Claes, dort zurechtkommen?« fragte der Arzt . »Oder werden wir sie so sehr beschäftigen, daß sie darüber nicht nachzudenken brauchen?«
Anfangs war Julius Tobias gegenüber argwöhnisch gewesen. Astorre hielt ihn nach wie vor für einen Spion und fingerte stets an den Resten seines Ohrs herum, wenn Tobias ihm widersprach. Dieser hatte zwar ein scharfes Mundwerk, aber bislang keinerlei Interesse an der Familie Charetty gezeigt. Und selbst jetzt beim Arbeiten mußte der Arzt, der seine Tasche auf einer Bank abgestellt hatte, reden.
Auch Julius arbeitete, ein Rechnungsbuch auf den Knien und seinen zarten Hintern auf ein Kissen gebettet. »Claes kennt Genf«, erwiderte er. »Der arme Kerl wurde mehr schlecht als recht in den Küchen der Familie de Fleury aufgezogen, bis sie ihn hinauswarfen und Cornelis de Charetty ihn als Lehrling einstellte. Die Schwester der Demoiselle hat in die Fleury-Familie eingeheiratet.«
»Und warum haben sie ihn hinausgeworfen?« fragte der Arzt geistesabwesend. Auf einem Hocker der Gaststube hatte er Platz für Mörser und Stößel freigeräumt und mischte Substanzen, die er mit kreisförmigen Bewegungen knirschend zermahlte. Der Schein der Kerze spiegelte sich auf seinem harten, kahlen Schädel.
»Warum hat er heute Prügel bezogen? Zuviel Tatendrang und kein vernünftiges Ziel«, erwiderte Julius. »Außerdem ist es eine merkwürdige Familie. Wartet nur, bis Ihr Esota seht.«
»Esota?« Tobias mahlte weiter »Jaak de Fleurys Ehefrau. Jaak ist der Kopf des Unternehmens. Der alte Thibault ist krank, er wohnt bei Dijon und hat sich aus dem Geschäftsleben zurückgezogen. Jaak kümmert sich um alles. Das hat er bereits getan, als ich noch sein Konsulent war. Damals war Claes schon weg. Ein Jahr lang habe ich durchgehalten, bis ich von der freien Stelle bei den Charettys hörte.«
Das Gemisch war fertig. Tobias legte den Stößel hin, bewegte die Finger und wandte Julius das ausdrucksloseste Gesicht zu, das dieser je gesehen hatte. Der kahle Schädel, von feinem Haar wie von Gischt umhüllt, lief in einer flachen, leicht faltigen Stirn aus, darunter farblose Brauen, runde, blasse Augen und ein rosiger kleiner, schmallippiger Mund. Einzig seine Nasenflügel fielen ins Auge, die rund und schön geschwungen waren wie zwei Notenschlüssel.
»Dann müssen wir dort wohl hin, oder? Gefällt es Euch, sie wiederzusehen?« wollte Tobias wissen.
»Oh, wir haben uns nicht im Streit getrennt. Ich ging, um Erzieher von Felix zu werden. Jaak ärgerte sich, daß ich den Dienst kündigte, denn er mag die Charettys nicht - die Schwester der Demoiselle war nur eine zweite Ehefrau, und die Fleurys erkennen die Verbindung nicht richtig an. Doch als Bevollmächtigter in Brügge war Cornelis nützlich: als Ankäufer von englischem Zinn für Kunden der Fleurys, oder von Heringen, Zeichnungen oder Gemälden. Im Gegenzug verkaufte Jaak auf den Genfer Märkten Tuch der Charettys in Kommission. Er hat sich beklagt, als ich ging - und wie! -, wollte es sich aber mit Cornelis nicht verderben.«
»Dann macht es Euch also nichts aus. Nun ja, als gut versorgter, respektierter Konsulent einer vielversprechenden Söldnertruppe mit glänzender Zukunft. Fleury wird es nur noch mehr bedauern, daß er Euch gehen lassen mußte.« Der Arzt beugte sich vor, hob den Mörser und füllte den Inhalt vorsichtig in ein Gefäß.
Julius
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