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Niceville

Niceville

Titel: Niceville Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carsten Stroud
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geschäftlichen Gründen natürlich.
    Mit dieser Idee, auch wenn sie weit hergeholt war, ließ sich
angenehm herumspielen, und so war Morgan Littlebasket an diesem lauen
Sommerabend ein zufriedener alter Mann, der mit seiner Welt im Reinen war.
    Als er in die Einfahrt seines Hauses einbog, war er freudig überrascht,
seine Tochter Twyla zu sehen, die mit verschränkten Armen, die Augen hinter
einer sehr großen Sonnenbrille verborgen, an ihrem roten BMW lehnte und ihn erwartete.
    Angesichts ihrer schmalen Lippen beschlich ihn der Hauch eines
unguten Gefühls, doch er war viel zu tief in angenehme Tagträume versunken, um
sich davon stören zu lassen.
    Er hielt neben dem »Geschoss«, wie sie ihren Wagen nannte, kurbelte
das Fenster herunter und lächelte sie an – ein wohlgenährter, gut gekleideter
alter Mann mit tiefbrauner, zerfurchter, ledriger Haut und einem dichten Schopf
langer, silbergrauer Haare. Mit gewohnheitsmäßiger Eitelkeit warf er einen
kurzen Blick auf sein Ebenbild im Außenspiegel und fand, er sehe aus wie eine
Mischung aus Iron Eyes Cody und Old Lodge Skins, mit anderen Worten: wie der
idealtypische edle Indianer.
    »Twyla, Schatz, wie nett. Kannst du zum Essen bleiben?«
    Twyla trat an die Fahrertür und sah noch immer kühl und distanziert
aus.
    Offenbar hatte sie etwas auf dem Herzen.
    Tja,
dafür sind Väter da, oder nicht?
    »Hallo, Dad«, sagte sie und bot ihm diesmal nicht die Wange zum
Kuss. »Können wir reingehen und miteinander reden? Ich brauche deinen Rat.«
    Littlebasket schälte sich aus dem Wagen und legte ihr die große,
geäderte Hand auf die Schulter, doch sie wandte sich ab und steuerte auf die
Haustür zu.
    Es
ist eindeutig irgendwas im Busch , dachte er und sah ihr nach, als
sie auf dem gepflasterten Weg zur Haustür ging, wobei er auszublenden
versuchte, dass ihr zerknitterter hellblauer Kittel viel zu kurz war für eine
junge Frau mit einem so schönen Körper und dass sie, so weit er es erkennen
konnte, darunter einen Tanga trug.
    Er schob das Bild beiseite – eine alte, längst überwundene Schwäche –, nahm sein Zeug vom Rücksitz und ging mit steifen Schritten zur Haustür, die
Twyla gerade aufschloss.
    Er hatte immer Wert darauf gelegt, dass die Mädchen auch nach Lucy
Bluebells Tod einen eigenen Schlüssel zum Haus hatten. Das gab ihnen das
Gefühl, zu einer Familie zu gehören, und darum ging es doch, oder? Um die Zugehörigkeit
zu Clan und Familie.
    Twyla ging ein paar Schritte durch den holzgetäfelten Korridor. Sie
blieb an der Tür zum Wohnzimmer stehen – niedrige, roh behauene Deckenbalken,
ein aus Feldsteinen gemauerter Kamin, Ledersessel und -sofas und flächendeckend
indianisches Kunsthandwerk –, drehte sich zu ihm um und nahm die Sonnenbrille
ab.
    Morgan Littlebasket blieb wie angewurzelt stehen. Sein Herz setzte
für einen Schlag aus, und aus seinem Bauch stieg etwas Kaltes, Schwarzes auf.
    Der Blick, mit dem sie ihn ansah, war unverkennbar. Es war der
Blick, vor dem er sich gefürchtet hatte, seit seine … Schwäche ihn auf Abwege
geführt hatte.
    Ihre Augen waren rot und vom Weinen verquollen, doch sie war kühl
und ruhig.
    Die Gewissheit traf ihn wie ein Tritt in den Solar plexus und
verschlug ihm buchstäblich den Atem.
    Sie
wusste es.
    Er trat auf sie zu, sein Kopf arbeitete auf Hochtouren, und er ging
in Gedanken noch einmal das ganze Lügenkonstrukt durch, das er sich bereits
zurechtgelegt hatte für den Fall, dass dieser schreckliche Augenblick
tatsächlich kam, doch an der Tür zum Wohnzimmer stellte er fest, dass sie nicht
allein waren.
    Vor dem Kamin saßen zwei breitschultrige Männer, schon älter,
schlank, mit Jeans und Cowboystiefeln und harten, wettergegerbten Gesichtern. Sie
wirkten wie tüchtige, kompetente Farmarbeiter. Der eine hatte lange blonde
Haare, einen struppigen weißen Schnurrbart und kalte blaue Augen, der andere
war glatt rasiert und hatte weißes Haar, eine ausgeprägte Nase, vorstehende
Wangenknochen und die Augen eines Revolverhelden.
    Morgan Littlebasket sah Twyla wütend an.
    »Wer sind die Männer? Und was machen sie in meinem Haus?«
    »Mein Name ist Coker«, sagte Coker, »und das hier ist Charlie. Twyla
ist eine gute Freundin von uns und hat uns gebeten mitzukommen und ihr
behilflich zu sein, wenn sie Ihnen ein paar einfache Fragen stellt.«
    Sein Ton war ruhig, entspannt und voll verhüllter Drohungen.
Littlebasket spürte, dass sein linkes Knie zu zittern begann. Um das zu
überspielen, ging er zu einer

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