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Niceville

Niceville

Titel: Niceville Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carsten Stroud
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mit dem Zielfernrohr?«
    »Den Stutzen.«
    »Glaubst du, du kannst mit dem Stutzen diesen Bären treffen? Ich habe nur meine Schrotflinte und diese Pistole.«
    »Diesen Bären kann ich mit einem Stein treffen, Coker.«
    Und dann, leiser: »Willst du hören, was ich zu sagen habe?«
    Ernie war immer noch am Brüllen.
    »Wie lange hängst du schon da oben?«, rief Danziger.
    »Fast eine Stunde.«
    »Wie konntest du den Notruf anrufen?«
    »Mit dem Handy, du Arschgesicht. Hatte ich dabei, als der Bär aufgetaucht ist. Charlie, knall den scheiß Bären ab, ja?«
    »Der Bär sieht schon aus wie tot, Ernie.«
    Das fand Ernie nicht komisch.
    »Der war aber ziemlich lebendig, als er mich die Pappel raufgejagt hat.«
    »Macht vielleicht bloß ein Nickerchen«, sagte Danziger, und dann leise zu Coker: »Darf man schlafende Bären abschießen?«
    »Muss ich erst nachschlagen«, sagte Coker.
    Er blickte zu Ernie Pullman hinauf, der gute fünfzig Meter weit entfernt war, und dann blickte er Danziger an.
    »Okay. Er ist weit genug weg. Was hast du auf dem Herzen, Charlie«, sagte er ganz ruhig.
    »Hast du noch nichts gehört?«
    »Na, was ich gehört habe, ist, dass die Jungs von der State Patrol bei Arrow Creek einen großen gelben Hummer angehalten haben. Mit Waffengebrauch. Und in dieser Ecke gibt es nur einen großen gelben Hummer.«
    »Da hast du recht.«
    »Sie haben Deitz?«
    »Jupp.«
    »Tot?«
    »Noch nicht.«
    »Haben Sie das Geld gefunden, dass du ihm hinten in die Karre gesteckt hast?«
    »Oh ja. Und die Rolex.«
    »Dann glauben Sie das, was wir sie glauben machen wollten …«
    Ernie, der zugesehen hatte, wie die beiden leise über Gott weiß was plauderten, verspürte das dringende Bedürfnis, ihre Aufmerksamkeit wieder auf ihre eigentliche Aufgabe zu lenken.
    »Herrgottnochmal, schießt jetzt bitte einer diesen scheiß Bären ab?«, brüllte Ernie Pullman. »Ich komme ins Rutschen.«
    »Stimmt«, sagte Danziger leise zu Coker. »Ich kann ihn ein bisschen rutschen sehen.«
    »Schießt den Bären ab!«, schrie Ernie Pullman, der langsam anfing, sich zu wiederholen.
    Coker zündete sich eine Zigarette an und grinste Danziger an.
    »Sie haben also Deitz geschnappt«, sagte er, noch immer in einem heiseren Flüstern. Danziger nickte.
    »Werden wir mal abwarten müssen, wie sich das entwickelt.«
    »Genau.«
    Ernie rutschte jetzt schneller ab. Er gab nichts Verständliches mehr von sich, er kreischte und jaulte nur noch.
    Der Bär rührte sich noch immer nicht.
    »Jetzt schrei hier nicht rum, Ernie«, brüllte Danziger. »Du weckst ihn noch auf. Vielleicht kannst du ganz leise um ihn rum rutschen.«
    Ernie gab verschiedene Unfreundlichkeiten von sich, sehr laut und aufgeregt. Er hing vielleicht drei Meter über dem Bären und rutschte zentimeterweise auf ihn zu, und es sah ganz so aus, als wäre der Bär inzwischen hellwach.
    Er gab ein langgezogenes klagendes Knurren von sich, ruckelte herum und knurrte erneut, diesmal viel entschlossener. Ernie hörte auf zu schreien, rutschte aber immer noch am Baumstamm herunter.
    »Der Bär ist höchstwahrscheinlich doch nicht tot«, sagte Coker zu Danziger. »Sieht jetzt ganz schön kregel aus.«
    »Ja, was?«, sagte Danziger. »Sollte ich mal die Winchester holen gehen?«
    »Wäre wohl besser«, sagte Coker.

SECHS MONATE SPÄTER

Drei Männer in einem Bundesgefängnis schmieden einen simplen Plan
    Das Leavenworth-Gefängnis, ein grauer Steintempel unter einer Sonne, so heiß wie ein Streichholzkopf, weit weg auf den Great Plains im Herzen Amerikas: Der Gemeinschaftsraum für die Häftlinge aus dem normalen Strafvollzug war feucht und überhitzt und vollgepackt mit Knackis der übelsten Sorte. Der niedrige fensterlose Raum stank nach Schweiß, Testosteron und Ammoniak (was vom Kartoffelschnaps kam).
    Obwohl die Männer im Gemeinschaftsraum abgebrühte Knastologen waren, hielten sich von dem Trio auf dem abgewetzten grünen Kunstledersofa in der Mitte alle fern.
    Diese Männer, zwei von ihnen fett wie alte Büffel, hochgewachsen und vom Leben gezeichnet, der dritte ein dürrer angegrauter, seltsam greisenhafter Mensch, saßen mit gespitzten Ohren vor den CNN -Nachrichten auf dem großen an die Wand geschraubten Flachbildfernseher.
    Der Bildschirm war mit einem Drahtgitter abgedeckt, aber die Männer – Mario La Motta, Desi Munoz und Julie Spahn – konnten den kahlköpfigen muskelbepackten Typen mit dem Biker-Bärtchen, der aus einem Notarztwagen gebracht und von ein paar

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