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Niceville

Niceville

Titel: Niceville Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carsten Stroud
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aufflogen. Er trug seine Lieblingssachen – die
Flying-Tiger-Jacke und die Ray-Ban Aviator vom Army Air Corps – und hatte den
Cockpitspiegel so eingestellt, dass er sich selbst sehen konnte. Der Motor gab ein
angenehmes Bariton-Summen von sich, und die Hände, die das Steuer hielten,
zitterten kein bisschen.
    Über ihm stieg die Sonne in den blauen Himmel auf, und unter seiner
rechten Tragfläche sah der Tulip wie ein goldenes Band aus, das sich durch das
Zentrum von Niceville schlängelte. Ein Dunst aus Rauch, Abgasen und feuchter
Luft hing über der Stadt, machte die Konturen der Stadt etwas unscharf und
verlieh ihr ein Aussehen wie auf einem Foto aus den vierziger Jahren, das, wie
Morgan fand, sehr gut zu seiner Aufmachung passte. Er fühlte sich wie ein
Düsenjägerpilot, der über dem Südchinesischen Meer nach Japsen suchte – sein
Staffelkamerad war Van Johnson, und im Stützpunkt erwartete ihn Betty Grable.
Er zog nach links und ging in Sinkflug und flog für eine Weile in einer sehr
verbotenen Höhe von dreihundert Metern über dem Tulip dahin. Allerdings nicht
sehr lange, denn bald schon zog er die Maschine hoch, so steil, dass er es in
den Wangen und an den Oberschenkeln spüren konnte, und steuerte wieder auf Tallulah’s
Wall zu. Die Felswand aus hellem Kalkstein füllte die Windschutzscheibe aus. An
der Sonnenblende hatte er ein Foto von seiner Familie befestigt, und jetzt hob
er die Hand, strich mit dem Finger über Lucys Wange und dachte daran, was für
ein Glück sie gehabt hatte, ihn gekannt zu haben. Er schob das Steuer ein
kleines Stück nach vorn, hielt die Maschine ganz ruhig und flog mit einer
später geschätzten Geschwindigkeit von etwa dreihundert Stundenkilometern gegen
Tallulah’s Wall.
    Durch die Wucht des Aufpralls explodierten die erst eine Stunde
zuvor gefüllten Tanks. Eine rot-schwarze Blume erblühte auf der Felswand und
zog die Aufmerksamkeit aller in der Stadt auf sich. Der Donner rollte über die
Dächer der Häuser und schreckte die Menschen aus ihrem sonntäglichen Schlummer.
Er rüttelte an den Fenstern der Wohnung über der Fixerstube und weckte Lemon
Featherlight aus seinem leichten, von Brandy Gule bewachten Schlaf. Er klopfte
an das Glas des Wintergartens, in dem Kate und Beth gerade ein langes, freimütiges
Gespräch über Byron Deitz führten, und ließ die Fenster von Tony Bocks Wohnung
klirren, so dass Coker und Twyla Littlebasket für einen Augenblick von der sehr
interessanten Geschichte abgelenkt wurden, die Bock erst zur Hälfte erzählt
hatte.
    Der Donner war aber nur noch ein leises Grollen, als er an das Ohr
von Charlie Danziger drang, der mit einem Glas Pinot Grigio und einer geladenen
Winchester auf der Veranda saß, darauf gefasst, dass gleich Byron Deitz oder
Boonie Hackendorff oder vielleicht der Teufel persönlich in die Zufahrt zum
Haus einbog und, aus allen Rohren feuernd, auf ihn zubrauste.
    Alle Menschen in Niceville stürzten ins Freie, in die Gärten, auf
Veranden und Balkone, und blickten auf zu Tallulah’s Wall, wo das lodernde
Feuer den riesigen Krähenschwarm, der dort lebte, aufgescheucht hatte. Die
Vögel stoben auf und flogen, verfolgt von den Blicken fast aller Bürger,
geschlossen über den höhergelegenen Teil der Stadt.
    Der Schwarm, der später auf dreitausend Tiere geschätzt wurde,
erschien zehn Minuten, nachdem Morgan Littlebaskets Flugzeug oder das, was von
ihm übrig war, mit Morgan Littlebasket oder dem, was von ihm übrig war, am Fuß
der Felswand aufgeschlagen war, über dem Flugplatz Mauldar Field.
    Die schwarze Masse, die sich wie ein einziger Organismus bewegte,
schwenkte nach Südsüdost und damit in die Flugbahn eines Learjets, der soeben
abgehoben hatte, mit ein paar Minuten Verspätung, weil irgendein Verrückter im
Tower angerufen hatte.
    Die Maschine beschrieb eine steile Rechtskurve und flog mit mehr als
sechshundert Stundenkilometern mitten in den Schwarm hinein. Die beiden
Düsentriebwerke saugten genug Fleisch und Blut und Knochen ein, um auf der
Stelle zu blockieren, und da die Windschutzscheibe so verschmiert war, dass
keiner der Piloten auch nur das kleinste bisschen hätte erkennen können, geriet
der Learjet so gründlich ins Trudeln, dass nicht einmal der Erzengel Michael
ihn daran hätte hindern können, zu tun, was er vierundsechzig Sekunden später
tat, nämlich sich mit über fünfhundert Stundenkilometern fünfzehn Meter tief in
den Boden zu bohren und Mr Zachary Dak und alles andere an Bord,

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