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Niceville

Niceville

Titel: Niceville Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carsten Stroud
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warteten hinter dem Scheunentor darauf, Zane und
Danziger in entgegengesetzte Richtungen davonzutragen.
    Jetzt, da der Adrenalinspiegel wieder gesunken war und bleierne
Müdigkeit einsetzte, hätten beide Männer am liebsten die Beute geteilt und
wären von hier verschwunden. Zane würde wieder zu den Bardashis fahren, während
Danziger sich noch um ein paar Details kümmern und dann, zumindest für eine
Weile, sein Leben als Bereichsleiter bei Wells Fargo weiterführen wollte. Es
war sozusagen lange nach Feierabend, und das Warten fiel ihnen schwer.
    Andererseits war der Gedanke an dreiunddreißig Prozent von
geschätzten zweieinhalb Millionen Dollar durchaus tröstlich, und als die
Profis, die sie waren, fügten sich beide in die Situation.
    Und wenn alles gut ging, dachte Zane, konnte dies der Beginn einer wunderbaren – oder jedenfalls profitablen – Freundschaft sein.
    In die angespannte Stille hinein läutete Danzigers Handy: Aus der
Tasche seiner Lederjacke drang ein gedämpftes Zirpen. Merle fuhr hoch und griff
instinktiv nach dem Taurus in seinem Gürtel, doch Danziger hob die Hand, die
schwielige Fläche nach außen gekehrt, und schüttelte den Kopf.
    »Ja?«
    Zane konnte nicht hören, was der Anrufer sagte, sah aber, dass
Danzigers Gesicht hart wurde.
    Danziger drückte das Handy an die Brust.
    »Sieh dich mal ein bisschen um. Coker sagt, es könnten Zivilisten in
der Nähe sein.«
    »Keine Bullen?«
    »Nein. Vielleicht Jäger. Sieh mal nach. Aber pass auf.«
    Zane zog den Taurus und ging leise zur Tür. Er beugte sich hinunter,
um durch die Risse in der Außenwand zu spähen, sah aber nichts als hohes
Unkraut und das Ende des Weges, der zu dieser Lichtung führte. Er streckte
gerade die Hand nach dem Türknauf aus, als Charlie Danziger auf ihn schoss. Es
war ein nicht besonders gut gezielter Schuss, und er traf nicht die
Wirbelsäule, sondern den unteren Rückenbereich – ein Umstand, der später für
einige Komplikationen sorgen sollte.
    Die Wucht des Aufpralls schleuderte Zane gegen die Tür. Das morsche
Holz zerbrach, und er fiel hindurch, drehte sich im Fallen und landete auf dem
Rücken. Er wälzte sich nach links, und ein zweiter Schuss wirbelte zwanzig
Zentimeter neben seinem Oberschenkel Staub auf.
    Jetzt war die Scheunenwand zwischen Zane und Danziger. Er hörte
Danzigers Stiefel auf dem Betonboden der Scheune scharren und feuerte viermal in
Brusthöhe durch die Wand.
    Danziger schrie auf – ein überraschtes Grunzen, gefolgt von dem
befriedigenden Geräusch eines Körpers, der hart zu Boden fiel. Eine Sekunde
später splitterten die Planken der Wände, als Danziger, offenbar noch sehr
lebendig, blindlings drauflosschoss. Eine Kugel erwischte Zane an der rechten
Schulter. Es war zwar ein Streifschuss, doch der dumpfe Schock warf ihn
abermals zu Boden.
    Er rollte zur Seite, stand auf, taumelte rückwärts und feuerte auf
die Scheune, wobei er die Schüsse auf den Bereich konzentrierte, in dem er
durch die Schusslöcher im Holz Danzigers Umrisse ausmachen zu können glaubte.
    Die Kugeln stanzten eine Charlie-Danziger-Silhouette in die Wand.
Elf Schüsse, dann war das Magazin leer, und Zane hatte keine Munition mehr. Er
drehte sich um und stolperte in den Wald. Seine Lunge brannte, in seinem Kopf
drehte sich alles. Er brach wie ein angeschossener Hirsch durch das dichte
Unterholz und dachte: So viel zum Thema wunderbare Freundschaft .

Gray Haggard kommt ungelegen
    Gray Haggard war einst für kurze Zeit glücklich
verheiratet gewesen, doch die junge Margaret Mercer, die er über alle Maßen
geliebt hatte, war nun schon so lange tot, dass es ihm schwerfiel, ihr Bild
heraufzubeschwören. Wenn er sich an sie erinnerte, dann an ihre sanften braunen
Augen, ihr kastanienbraunes Haar, ihre sinnlichen Rundungen und die Tatsache,
dass sie im Bett wagemutig und manchmal erstaunlich gewesen war.
    Doch Margaret Mercer war schon lange nicht mehr auf dieser Welt, und
er hatte es immer ungerecht gefunden, dass er die Schlacht am Kasserinpass,
diese entsetzliche Landung bei Gela in Sizilien und schließlich das Blutbad am
Omaha Beach überlebt hatte, ohne mehr als ein paar Granatsplitter abzukriegen,
während die Frau seines Herzens in Niceville einem Moskitostich und der
anschließenden Enzephalitis zum Opfer gefallen war.
    Seine Beziehung zum Allmächtigen war seither deutlich abgekühlt, und
jetzt, da er auf die fünfundachtzig zuging, dachte er des Öfteren darüber nach,
was er zu Gott sagen würde,

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