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Niceville

Niceville

Titel: Niceville Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carsten Stroud
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sollten sie je wieder miteinander sprechen.
    Dieser Art waren die Gedanken, die ihm durch den Kopf gingen, als er
seinen limonengrünen und flamingoroten 52er Packard durch die Kurve der Allee
steuerte, die den Hügel hinauf zu Delia Cottons Haus führte.
    Es war eigentlich schon zu spät, um in Delias Garten zu arbeiten –
das Nachmittagslicht war bereits fast geschwunden –, aber die Alternative war,
zum Palliativpflegeheim Gilead in Sallytown zu fahren und seinem alten Freund
Plug Zabriskie dabei zuzusehen, wie er tiefer und tiefer in seiner Demenz
versank.
    Er würde also nach den Forsythien sehen und sich vielleicht mit
Delias nicht richtig funktionierendem Sprinkler befassen – oder vielmehr dem
nicht richtig funktionierenden Sprinkler im Garten. Er hatte so eine Ahnung,
dass Delias Sprinklersystem einwandfrei funktionierte. Noch etwas, über das er
sich mit Gott unterhalten musste, sofern man ihn nah genug an Ihn heranließ …
Angeblich gehörte zu den Wohltaten des Alters, dass die heftigeren
fleischlichen Gelüste etwas nachließen, und dennoch ertappte er sich bei
sündigen Spekulationen über Delia Cottons Sprinklersystem.
    Haggard bremste und blieb stehen. Seine sündigen Gedanken
verblassten und entschwanden, als er auf die Einfahrt zu Delias Anwesen
starrte: Das schmiedeeiserne Tor stand weit offen, und dabei hielt Delia es
immer geschlossen.
    Immer.
    Er schob seine lange hagere Gestalt vom Fahrersitz, richtete sich
nicht ohne Mühe auf und betrachtete über die Brille hinweg das große Haus auf
dem Hügel – ein hochgewachsener, aber leicht gebeugter alter Mann in kariertem
Hemd, brauner Baumwollhose und Gummistiefeln, mit einem scharf geschnittenen,
sonnengebräunten Gesicht, vollem, schneeweißem Haar und klaren blauen Augen, in
deren Winkeln Fächer aus tiefen Falten waren.
    Was er dort sah, war ein weiteres Rätsel.
    Temple Hill war ein klassisches viktorianisches Herrenhaus mit einer
breiten umlaufenden Veranda, geschnitzten Verzierungen, Giebeln und Türmchen
sowie sehr schönen Buntglasfenstern in allen Räumen. Jetzt, im schwindenden
Tageslicht, leuchteten sie wie rote, violette und grüne Juwelen.
    Wie es schien, hatte Delia jede einzelne Lampe im ganzen Haus
eingeschaltet. Es stand vor dem dunkelnden blauen Himmel wie ein
Kreuzfahrtschiff am Horizont.
    Während er sich über das offene Tor und das hellerleuchtete Haus
wunderte, hörte er Musik, deren Klänge über den rasenbewachsenen Hang zu ihm
hinuntertrieben, eine tiefe, volltönende Melodie, gespielt auf einem Cello oder
einer Bratsche oder vielleicht einer Orgel.
    Die Musik war zwar sehr elegant und berührend, aber auch sehr laut,
und Lautstärke war eine der vielen modernen Neuerungen, die Delia nicht
guthieß.
    Gray nahm das alles auf und fragte sich, was es zu bedeuten hatte,
dann stieg er wieder in den Packard, fuhr die gepflasterte Zufahrt hinauf und
parkte den Wagen in dem großen Wendekreis vor der Vordertreppe.
    Die Eingangstür stand weit offen, und die Halle wurde vom
schimmernden Licht des Kristalllüsters erhellt. Die Cellomusik ergoss sich in
einem Fluss aus honigfarbenen Klängen aus dem Haus.
    Er blieb kurz neben dem Wagen stehen und hatte das Gefühl, als wäre
er zurückversetzt worden in jene schöne Zeit, als die verdammten Japse Pearl
Harbor noch nicht überfallen hatten und er noch nicht in der First Infantry
hatte dienen müssen, eine längst vergangene Zeit, die es nur noch in seiner
Erinnerung gab, eine glanzvolle Zeit mit Bällen und Picknicks am Tulip, mit
jungen Frauen in dünnen Kleidern und mit großen Strohhüten und Körben voller
frischer Erdbeeren, eine Zeit, in denen die alten Herrenhäuser in The Chase von
Licht und Musik erfüllt gewesen waren – bis der Krieg ihnen allen den Boden
unter den Füßen fortgerissen hatte und sie im Feuer gelandet waren.
    Doch heute Abend standen die Türen von Delias altem viktorianischem
Haus weit offen, und Musik strömte heraus wie eine Einladung zum Tanz.
    Gray rief ein paarmal Delias Namen, bezweifelte aber, dass sie ihn
bei dem Getöse der Cellosonate, die aus den Fenstern und Türen drang, hören
konnte.
    Er seufzte, strich Hemd und Hose glatt und ging mit unsicheren
Schritten die Vordertreppe hinauf. An der Schwelle verharrte er. Er merkte,
dass er schwer atmete und dass seine Schultermuskeln angespannt waren, als
erwartete er einen Angriff. Mit einer bewussten Anstrengung schüttelte er dieses
Gefühl ab, besann sich und klopfte an den

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