Niceville
haben. Delia hatte für Mildred Pierce nicht viel übrig – es
war eine launische, herrische, streitlustige Katze –, doch die junge Frau,
deren hübsches grünes Kleid mit Katzenblut verschmiert war, tat ihr leid.
»Warten Sie einen Moment, Miss …«
»Clara«, sagte die junge Frau, hob das Kinn und rückte die Katze in
ihren Armen zurecht.
»Clara«, sagte Delia und wiederholte den Namen leise, als versuchte
sie sich an andere Claras zu erinnern, die sie gekannt hatte. In den hinteren
Bereichen ihres Kopfes spürte sie ein leises Beben – da war etwas Seltsames,
etwas Falsches –, doch die Erinnerung, der Gedanke, die Ahnung war gleich darauf wieder
verschwunden. Sie seufzte, schaltete den Fernseher aus und erhob sich langsam.
»Ich komme schon.«
»Gut«, sagte Clara und lächelte jetzt freundlich in die Kamera,
obwohl Delia sie gar nicht mehr sehen konnte. Und das war bedauerlich, denn
hätte Delia dieses Lächeln und das Licht in Claras hellbraunen Augen bemerkt,
dann hätte sie die Tür vielleicht nicht geöffnet.
Charlie Danziger und Merle Zane haben eine Meinungsverschiedenheit
Wenn
man die gewundene, zweispurige Route 311 in Richtung Süden fuhr, zweigte drei,
vier Kilometer nach der Stelle, wo der Anstieg in die braunen Ausläufer der
Belfair-Hügel begann, ein überwachsener Waldweg nach rechts ab, der in die
kühle grüne Dunkelheit des dichten alten Waldes aus Erlen, Eichen und Fichten
führte. Der Weg beschrieb eine Kurve und war dann kaum noch auszumachen.
Nach ein paar hundert Metern kam man an eine Lichtung, auf der eine
alte, blassblaue Scheune stand – oder vielmehr kaum noch stand –, gebeugt von
der Last der seit der großen Weltwirtschaftskrise vergangenen Jahre. Damals
nämlich war der Belfair Pike General Store and Saddlery, zu dem sie gehört
hatte, geschlossen worden.
Das Blechdach war an mehreren Stellen eingebrochen, so dass die
hundertfünfzig Jahre alten, mit Schimmel und Fäule überzogenen Balken
freilagen. Drinnen war es düster und warm, es roch nach verschüttetem Öl und
altem Mist, nach Fäulnis und in Jahrzehnten angehäuftem Fledermauskot.
Merle Zane und Charlie Danziger saßen seit drei Stunden dort,
atmeten durch den Mund und warteten geduldig auf das Ende der Suchaktion.
Es war der kritische Teil des Plans, eine Zeit der Anspannung. Denn
sie mussten das Risiko eingehen, dass ein Hubschrauber der Staatspolizei diesen
blauen Fleck inmitten des grünen Waldes entdeckte und einen Streifenwagen
dorthin dirigierte, damit die Kollegen sich das einmal genauer ansahen.
Sollte das geschehen, würde ein kurzer Anruf von Coker, der mit den
anderen Bullen dort draußen herumfuhr und sich an der Suche beteiligte, die
einzige Warnung sein, die sie bekamen.
Bis jetzt hatte noch niemand angerufen.
Merle Zane war französisch-irischer Abstammung, ein schlanker Mann
Mitte vierzig mit markantem Gesicht, rasiertem Schädel und einer Brandnarbe auf
der linken Seite des Halses. Er war durchtrainiert, betrieb Kampfsport und war
ruhig und zurückhaltend. Die Wechselfälle des Schicksals und die Tatsache, dass
sein Vater ein auf gestohlene Autoteile spezialisierter Mechaniker war, hatten
ihn zum Stock Car Racing geführt, bis sich eines Tages in Louisiana, in einer
Kleinstadt namens Cocodrie, ein paar Boxenmechaniker darüber lustig gemacht
hatten, wie er die Kurve vor der Zieleinfahrt genommen hatte. Zu Zanes
schlagenden Argumenten hatte auch ein Montiereisen gehört.
Der Richter in Cocodrie hatte diese Diskussion anders beurteilt als
Merle und ihm einen Aufenthalt im Gefängnis von Angola, Louisiana, verordnet.
Es handelte sich dabei im Grunde um eine Gladiatorenschule, die jeden, der die
Ausbildung überlebte, zum Experten für reine, unverfälschte Brutalität machte.
Merle war einer von denen, die nicht draufgegangen waren. Vor sieben Jahren
hatte man ihn vorzeitig entlassen.
Seither war er bei zwei Autohändlern angestellt, die entlang der
Ostküste Auktionen veranstalteten und hauptsächlich mit Muscle-Cars aus den
sechziger und siebziger Jahren handelten. Da bei diesen Auktionen die Grenze
zwischen einfachem Betrug und schwerem Autodiebstahl bisweilen mehr als
verschwamm, brauchten die Besitzer, zwei Amerikaner armenischer Abstammung,
deren Motto lautete: »Ihr Geld und unsere Erfahrung werden zu unserem Geld und
Ihrer Erfahrung«, jemanden wie Merle, dessen Aufgabenbereich so ziemlich alles
von Corvettes bis zum Personenschutz abdeckte.
Für die Bardashi-Brüder
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