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Niceville

Niceville

Titel: Niceville Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carsten Stroud
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fuhren auf dem Long Reach Boulevard östlich des Tulip. Der Regen
ließ nach, die Wolken rissen auf, und zu ihrer Rechten konnten sie die
bewaldeten Hügel von The Chase sehen, überragt von Tallulah’s Wall. Beau war so
blass, wie er es nur sein konnte, und stammelte: »Nick … gibt’s vielleicht eine
Möglichkeit, diese Sache … irgendwie …«
    Nick wusste, worauf er hinauswollte.
    »Falls es das ist, was dir Sorgen macht: Ich werde ganz sicher
niemandem erzählen, dass mein Partner sich von einem Mädchen, nicht größer als
ein Salzstreuer, ein Stück aus dem Hintern hat beißen lassen.«
    Beau verarbeitete das, und mit einem Mal drang die wunderbare neue
Erkenntnis zu ihm durch, dass Nick ihn, trotz der beschämenden Ereignisse in
der jüngsten Vergangenheit, soeben als »mein Partner« bezeichnet hatte. Er
strahlte derart, dass man neben ihm im Dunkeln hätte lesen können.
    »Danke, Nick. Wird nicht wieder vorkommen.«
    »Wenn es doch vorkommt, filme ich es und lade es auf YouTube hoch.
Gleich sind wir bei Delia Cotton. Als ich mit Lacy telefoniert habe, hast du
mit der Vermisstenstelle gesprochen. Was haben die gesagt?«
    Beaus Lächeln verwandelte sich in ein konzentriert professionelles
Stirnrunzeln. Er zog einen dicken, nagelneuen Notizblock hervor, auf dessen
schwarzem Ledereinband das Logo des CID in
Gold geprägt war.
    Er klappte ihn auf, verzog schmerzhaft das Gesicht, als Nick scharf
nach links abbog, und las laut vor.
    »Cotton, Delia, geboren neunzehnhundert –«
    »Beau.«
    »Ja?«
    »Nur die Zusammenfassung, okay?«
    »Zusammenfassung?«
    »Ja.«
    Beau war enttäuscht. Nach dem Vorbild von CSI: Miami hatte er alles ausführlich und mit Fußnoten notiert. Zögernd steckte er den
neuen Block wieder ein.
    »Also, im Grunde ist sie die Einzige, die von dem reichen Zweig der
Familie Cotton noch übrig ist. Die Cottons sind eine der vier Gründerfamilien.
Sie ist vierundachtzig und lebt allein in Temple Hill – so heißt ihr Haus am
Upper Chase Run 682. Sie hat noch ihren Führerschein und einen marineblauen
75er Cadillac Fleetwood, der im Augenblick wegen einer kaputten Achse in
Reparatur ist. Die von der Vermisstenstelle sagen, ihre Haushaltshilfe – Alice
Bayer, dreiundsechzig, lebt in The Glades – ist heute Morgen mit Einkäufen zum
Haus gefahren, und da stand ein rosa-grüner Packard in der Zufahrt, den sie als
den von Gray Haggard erkannt hat, einem alten Mann, der sich um Miss Cottons
Garten kümmert. Die Haggards waren doch auch eine der vier Gründerfamilien,
oder?«
    »Die Haggards, die Cottons, die Teagues, die –«
    »Und deine Frau, stimmt’s, Nick? Mrs Kate?«
    »Kate ist mit den Walkers verwandt, ja.«
    »Jedenfalls, diese Alice Bayer sieht, dass im Haus überall Licht
brennt, die Fenster und Türen stehen offen, und irgendwo spielt Musik, so laut,
dass die Scheiben klirren –«
    »Zusammenfassung, Beau.«
    »Sie geht durch das Haus, stellt die Musik ab, bemerkt sonst nichts
Ungewöhnliches, nur dass eben niemand da ist. Jedenfalls scheint nichts
gestohlen zu sein, aber dann kriegt sie mit einem Mal … ›Fracksausen‹?«
    »Das heißt, das Haus war ihr unheimlich.«
    »Und das heißt ›Fracksausen‹? Hab ich noch nie gehört. Jedenfalls
ruft sie die Wachfirma an, die für The Chase zuständig ist.«
    »Eine Firma namens Armed Response. Gehört Byron Deitz.«
    »Genau. Die Leute von Armed Response kommen und durchsuchen das
Haus. Keine Spur von Miss Delia und keine Spur von diesem Gray Haggard, keine
Anzeichen von Gewalt. Inzwischen kriegt Alice Bayer noch mehr Fracksausen und
wird von einem der Wachmänner nach Hause gebracht – sie wohnt im Virtue Place
in The Glades und ist bereit, mit uns zu sprechen, wenn wir wollen. Armed
Response hat eine Liste von Leuten, die man im Fall der Fälle benachrichtigen
soll. Miss Delia ist in einem Lesekreis, lauter alte Damen, aber keine weiß
irgendwas, und so rufen die von Armed Response die Polizei, die Kollegen leiten
es weiter an die Vermisstenstelle, die von der Vermisstenstelle leiten es
weiter an Tig, und Tig leitet es weiter an uns. Das war die Zusammenfassung.
Und da sind wir jetzt.«
    Das stimmte. Als sie um eine langgezogene, von Bäumen beschattete
Kurve der gepflasterten Straße fuhren, rechts und links begleitet von schwarzen
schmiedeeisernen, überwucherten Zäunen, kam zwischen alten Weiden und mit
Spanischem Moos behangenen Eichen Temple Hill in Sicht, Delia Cottons riesiges
viktorianisches Haus.
    Ein

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