Niceville
Llewellyns geräumigem Ranchhaus stattgefunden hatte. Das Haus
stand in einem schattigen Tal, etwa eineinhalb Kilometer von der Landstraße 336
entfernt und ein paar kurze Kilometer südlich von Gracie, und war für beide
Llewellyns stets – oder vielmehr bislang stets – ein sicherer Zufluchtsort
vor dem schwindelerregenden Wirbel des gesellschaftlichen Lebens von Gracie
gewesen.
Leider war es damit heute Morgen um sechs Uhr vorbei gewesen, als
Inge Llewellyn, geborene Bjornsdottir, jäh aus ihrer Yogaversenkung gerissen
worden war, und zwar durch ein dröhnendes Hämmern, das von der Haustür zu
kommen schien, gefolgt von dem Poltern ihres Mannes, der, immer zwei Stufen auf
einmal nehmend, die Treppe heruntergerannt und, in seinen Lammfellpantoffeln
auf dem polierten Parkettboden rutschend und mit einem Ausdruck heller Panik
auf dem verkniffenen, vogelartigen Gesicht, zur Tür geeilt war.
Mrs Llewellyn hatte gespannt und aufmerksam einem kurzen, aber
einprägsamen Wortwechsel zwischen Thad und dem Unangemeldeten Besucher
gelauscht, bei dem es sich, so weit sie es an der sich windenden Gestalt ihres
Mannes vorbei hatte erkennen können, um einen riesigen Schwarzen in einem
anthrazitgrauen Anzug gehandelt hatte, der die schiere Körpermasse seines
Besitzers kaum bändigen zu können schien.
Was gesagt wurde, konnte sie nicht verstehen, doch der Ton war
unmissverständlich – Druck und Drohung haben eine ganz eigene Intonation –, und
das Gespräch endete damit, dass der schwarze Riese die Tür zuknallte, und zwar
derart, dass die Seitenfenster des Vestibüls in ihren maßgefertigten Rahmen
leise klirrten.
In ihrem hellblauen einteiligen Yogaanzug und den rosaroten Slippern
mit den Hasenohren glitt Inge in die Eingangshalle, und dann standen die beiden
da und starrten einander an, während das Motorengeräusch einer großen
Limousine, die in der kreisrunden Auffahrt wendete und dabei teuren Quarzkies
auf die handgefertigte Vorderveranda schleuderte, langsam in der Ferne
verklang, so dass nur angespannte Stille blieb.
»Wer war dieser schreckliche Mann?«, fragte Inge. Ihr Ton war
äußerst kühl, und Thad stand vor ihr wie ein vertrocknender Farn.
»Er heißt Phil Holliman«, antwortete er kleinlaut, »und er arbeitet
für Byron Deitz.«
»Und was wollte er zu dieser unchristlichen Zeit?«
Hinsichtlich des Nebenverdienstes, der ihnen den Unterhalt dieses
schattigen Domizils ermöglichte, war Thad seiner Gattin gegenüber nicht ganz
aufrichtig gewesen, und nun wusste er nicht recht, was er antworten sollte.
Inge sah seinen unsteten Blick, die bebenden Nasenflügel und die
zitternden Lippen, und da sie ihren Mann ziemlich gut kannte und, wenn es um
ihre eigenen Interessen ging, einigermaßen berechnend sein konnte, kam sie
schnell zu dem Schluss, dass sie für etwas, von dem sie nichts wusste, auch
nicht angeklagt werden konnte.
Sie spitzte die Lippen, schnaubte zweimal, drehte sich auf ihren
gequälten Häschenpantoffeln um und rauschte davon in ihren Yogaraum. Wieder
knallte eine Tür. Zurück blieb ihr Mann, der nun Gelegenheit hatte, über die
Implikationen häuslichen Unfriedens nachzudenken.
Das, was dieser schreckliche Mann zu dieser unchristlichen Zeit von
ihm wollte und Thad jetzt zu verarbeiten versuchte, lief darauf hinaus, dass er
wie ein Schachtelteufelchen aus seinem Büro in der First Third Bank in Gracie
springen sollte, sobald Byron Deitz’ gelber Humvee auf den Parkplatz einbog.
Dies würde laut Phil Holliman gegen Mittag der Fall sein.
Und um genau zwölf Uhr, wie von dem unangenehmen Mr Holliman
prophezeit, war es so weit.
Wie kaum anders zu erwarten, fuhr der Anblick des Wagens dem
nervenschwachen Bankangestellten derart in die Knochen, dass er sich auf die
Toilette zurückzog, um einen Schluck Wasser zu trinken und ein paar von den Dingern
einzuwerfen, die er als »meine Glückspillen« bezeichnete, um für das, was da
kam, gerüstet zu sein.
Deitz saß in seinem Humvee und knirschte mit den Zähnen. Während er
in seinem Kopf diese unerklärlichen Nussknackergeräusche hörte, erhielt er
einen weiteren Anruf, der ihn zusammenzucken und vor Schreck seinen Kaugummi
verschlucken ließ.
Auf dem Display
stand: BELFAIR
CULLEN COUNTY CID .
Er drückte die Sprechtaste und sagte: »Deitz.«
»Hallo, Byron, hier ist Tig Sutter.«
Verdammt.
Und jetzt?
»Hallo, Lieutenant. Wie geht’s?«
»Gut, Byron. Mir geht’s gut. Haben Sie eine Minute Zeit?«
Deitz sah aus dem Fenster. Die
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