Niceville
Glastür der First Third Bank schwang
auf, und heraus trat, einen roten Regenschirm in der Hand, der schmächtige Thad
Llewellyn und kam mit winzigen Schritten über den nassen Asphalt auf den Humvee
zugetrippelt.
»Ich habe gleich eine Besprechung, aber wenn ich was für Sie tun
kann …«
»Nick wollte Sie deswegen schon anrufen, aber er steckt bis über
beide Ohren in einem Vermisstenfall.«
Thad Llewellyn stand an der Beifahrertür und spähte blinzelnd durch
das getönte Glas. Er wirkte melancholisch, aber gottergeben, ja er sah sogar
ein wenig verträumt aus.
Deitz entriegelte die Türen, und Thad stieg ein, setzte sich auf den
Beifahrersitz und lehnte sich an die Tür.
Er nickte schwach, als Deitz den Finger an die Lippen legte, um ihm
zu verstehen zu geben, er solle schweigen, bis er aufgefordert würde zu reden.
»Ich freue mich immer, von Ihnen zu hören, Lieutenant. Wie geht’s
Nick?«
»Gut«, sagte Tig und klang, als wäre er mit den Gedanken woanders.
»Verfolgen Sie diese Geiselnahme in der Saint Innocent?«
Deitz hatte seit dem Vorabend nichts anderes verfolgt als seine
eigenen düsteren Gedankengänge und musste zugeben, dass er keine Ahnung hatte,
wovon Tig Sutter sprach.
Tig erklärte es ihm: Er erzählte von der anonymen E-Mail, von seinem
Entschluss, auf eine Auskunft aus Maryland zu warten, von der plötzlichen
Publicity-Lawine, dem Fernseh-Übertragungswagen, den Zeitungsreportern und dem
daraus resultierenden Schlamassel
in der Peachtree Avenue.
Deitz hörte zu. Er hörte auch Llewellyns rasches Atmen und roch sein
Rasierwasser. Während er mit einem Knopfdruck ein Fenster hinabgleiten ließ,
fragte er sich, worauf Tig eigentlich hinauswollte. Er spürte, dass gleich eine
Bitte an ihn gerichtet werden würde, deren Erfüllung ihm ein paar Informationen
über den Banküberfall einbringen könnte, und daher war er ganz Ohr.
Tigs Geschichte war zu Ende, und es entstand eine zögerliche Stille.
Deitz ergriff die Initiative.
»Wollen Sie diesen anonymen Denunzianten aufspüren, Tig?«
»Tja, das war der ursprüngliche Plan. Ich wollte die Jungs in Cap
City bitten, uns zu helfen, aber die sind allesamt mit der Sache von gestern
beschäftigt, und wir haben einfach nicht das technische Personal –«
»Tig, wir haben eine ganze IT -Abteilung
zu unserer Verfügung. Da ist ein brillanter Typ namens Andy Chu, der den ganzen
Tag bloß auf seinem Hintern sitzt und Grand Theft Auto spielt. Es wäre mir eine Freude, Ihnen zu helfen. Gratis, versteht sich. Ich
muss zugeben, dass wir alle Hände voll zu tun haben herauszufinden, wer hinter
diesem Überfall steckt, aber –«
»Den Fall hat inzwischen das FBI ,
Byron.«
»Ja, aber ein großer Teil des Geldes war für Quantum Park bestimmt,
und wie Sie wissen –«
»Ich weiß, ich weiß, das sind Ihre Kunden, und wenn Sie irgendwas in
Erfahrung bringen –«
»Haben die in Cap City denn konkrete Hinweise?«
»Wie gesagt, das CID ist in die Ermittlungen nicht
einbezogen. Für mich sieht’s danach aus, dass sie Insiderinformationen hatten.
Boonie Hackendorff untersucht das und nimmt sich die Bankleute und die
Mitarbeiter von Wells Fargo vor. Und es ist ziemlich offensichtlich, dass der
Schütze ein Profi war. Die Waffe war vermutlich eine Barrett Fifty.«
»Das grenzt den Kreis der Verdächtigen ein. Man muss nur überprüfen,
an welche militärischen und polizeilichen Einheiten die Dinger ausgeliefert
worden sind.«
»Ja«, sagte Tig seufzend, »das wären dann ein paar tausend
Verdächtige, selbst wenn wir uns nur auf die USA beschränken. Und da sind die Zivilisten noch gar nicht eingerechnet – und von
denen sind manche so gut wie jeder Profi. Wobei mir einfällt: Ihr Holliman
macht uns gerade einige Kopfschmerzen.«
»Warum? Was tut er?«
»Nach dem, was ich gehört habe, hat er sich gestern Nacht in Tin Town
und dem Kneipenviertel aufgeführt wie General Sherman, sich alle möglichen
Leute vorgeknöpft und unseren Spitzeln und Informanten die Hölle heiß gemacht.
Und im Augenblick macht er munter weiter, unten am Pavillon. Anscheinend geht’s
um den Überfall – was ich, wie gesagt, vollkommen verstehen kann –, aber seine
Methoden sind wirklich übel, Byron, das muss ich Ihnen mal sagen. Boonie
Hackendorff wird Sie ebenfalls deswegen anrufen, und Marty Coors steht kurz
davor, ihn wegen Behinderung der Polizei vom State CID verhaften zu lassen, also sollten Sie ihn vielleicht lieber für ein Weilchen an
die Kette
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