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Niceville

Niceville

Titel: Niceville Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carsten Stroud
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sagte Llewellyn, dachte nach und blinzelte, »es
könnten drei gewesen sein. Ja. Drei stimmt wohl.«
    Deitz nahm das Fläschchen aus Llewellyns ausgestreckter Hand und hielt
es hoch. Es war halb mit kleinen braunen Pillen gefüllt. Deitz sah ihn streng
an – er hielt nichts von Drogen, insbesondere wenn sie von anderen Leuten
eingesetzt wurden, um den Deitz-Effekt zu mildern. Er ließ das Fläschchen in
den Getränkehalter auf der Mittelkonsole fallen.
    Sein Blick ruhte darauf.
    Es war eine Art Zen-Pause.
    Dann schlug er Llewellyn mit dem Handrücken auf die rechte Wange,
dass dessen Kopf mit einem melodischen Ton gegen das Seitenfenster prallte. Die
rosaroten Wolken in Llewellyns Kopf lösten sich für einen Augenblick auf, und
ein greller Blitz des Erkennens durchstieß den Dunst.
    Deitz nutzte die Gelegenheit.
    »Nur eine kurze Frage, Thad: Haben Sie irgendjemandem erzählt, was
in meinem Schließfach war?«
    Llewellyn strich über die Rötung unter seinem Auge.
    »Nein. Wie sollte ich? Ich wusste ja nicht, was in dem Schließfach
war. Sie haben mir nur gesagt, ich sollte ein Auge darauf haben, aber nicht,
was darin war. Warum? Was war es denn?«
    Deitz dachte nach. Llewellyn hatte recht: Er hatte ihm nie gesagt,
was in dem Schließfach war. Warum auch?
    »Das geht Sie einen Scheißdreck an. Die Kerle, die den Überfall
gemacht haben – irgendeine Ahnung, wer die sein könnten?«
    Llewellyn mühte sich, seinen Kopf zu überreden, sich mit dieser
Frage zu befassen.
    »Nein. Da war nichts Besonderes … Zwei weiße Männer, und beide
hatten diese Masken auf … Einer war groß und hatte blaue Augen, der andere
hatte dunkle Augen und … und …«
    Er sprach nicht weiter, und Deitz streckte die Hand aus, nahm
Llewellyns Nasenspitze zwischen Daumen und Zeigefinger, drehte sie fest um und
ließ sie wieder los. Das Blut an seinen Fingern wischte er an Llewellyns Hemd
ab. Dann packte er ihn am Hals und drückte zu.
    »Gib mir was, mit dem ich was anfangen kann«, fuhr er ihn an. Seine
Augen waren zu Schlitzen verengt, er sah kaum noch aus wie ein Mensch. Es war
ein Gesicht, das seine Familie recht gut kannte. »Los, oder ich brech dir hier
und jetzt das Genick.«
    Auf Llewellyns Wangen glänzten Tränen des Schmerzes, seine Augen
liefen über, Blut tropfte von seiner Nasenspitze. Er starrte Deitz mit dem
total abwesenden Ausdruck eines Mannes an, in dessen Kopf nur noch weniger als
drei Gehirnzellen arbeiten. Er spürte seine Zehen nicht mehr, und in seinem
Rumpf stieg eine warme Taubheit auf.
    Deitz schüttelte ihn durch wie einen Putzlumpen, aber selbst er
konnte sehen, dass Llewellyn im Augenblick nicht zu sprechen war.
    Der blinzelte ein paarmal, schloss die Augen und ließ den Kopf nach
vorn sinken, so dass er nur von Deitz’ ausgestreckter Hand gehalten wurde. Nach
einiger Zeit sagte er mit einem verträumten Murmeln, aber deutlich zu
verstehen: »Kriton, ich schulde dem Asklepios noch einen Hahn.«
    Deitz grunzte angewidert und ließ Llewellyns Kehle los, worauf
dieser in den Fußraum vor dem Beifahrersitz rutschte.
    »Stiefel«, murmelte er, »der größere Mann hatte blaue Cowboystiefel
an. Ich hab noch nie blaue Cowboystiefel gesehen …«
    Seine Stimme verlor sich in einem seufzenden Flüstern. Der Rest war
Schweigen, unterbrochen nur von den Geräuschen eines Mannes, der vor Wut
kochte.
    Stiefel? ,
dachte Deitz, griff nach Llewellyns Pillenfläschchen und drehte es beinahe
geistesabwesend hin und her.
    Beth, seine unbefriedigende Frau, nahm Tavor als Mittel gegen den
Deitz-Effekt. Ihre Tabletten waren klein und blau, während diese hier braun
waren, aber was hieß das schon? Vielleicht sollte er auch mal eine nehmen.
    Stress hatte er jedenfalls reichlich.
    Er hielt das Fläschchen mit seinen dicken Fingern und hörte
Llewellyn im Fußraum schnaufen. Offenbar kam er mit dem Zeug nicht gut zurecht.
Deitz seufzte und gestattete sich einen Augenblick des Selbstmitleids: Die
Menschen in seinem Leben enttäuschten ihn auf so vielfältige Weise. Er legte
die Pillen wieder in den Getränkehalter und ließ den Motor an.
    Als Deitz, im Fußraum vor dem Beifahrersitz einen bewusstlosen
Bankangestellten, vom Parkplatz fuhr, wusste er nicht, dass es sich bei dem
Zeug, mit dem dieses Männlein nicht zurechtkam, nicht um den in Tavor
enthaltenen Wirkstoff Lorazepam handelte, sondern um den Stoff, den Chemiker
als 3,4-Methylendioxy- N -methylamphetamin und gestresste, in
Fußräumen schnaufende Bankangestellte als

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