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Niceville

Niceville

Titel: Niceville Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carsten Stroud
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Er
stammt aus Temple Hill. Delia Cotton hat ihn ihrer Haushaltshilfe geschenkt.«
    »Die Teagues und die Cottons«, sagte er mit tonloser Stimme.
    »Ja, zwei der Gründerfamilien.«
    Wieder schwieg er.
    Schließlich sagte er: »Könntest du mir den Spiegel beschreiben?«
    »Goldener Barockrahmen, altes Glas, die Silberschicht ist an einigen
    Stellen abgeblättert. Vielleicht aus dem 17. Jahrhundert. Aus Irland oder
Frankreich. Ungefähr siebzig mal siebzig Zentimeter. Schwer. Auf der Rückseite
klebt eine alte Visitenkarte.«
    »Was steht darauf?«
    »In sehr schöner Schrift und mit türkiser Tinte geschrieben: ›In
langem Eingedenken – Glynis R.‹«
    Abermals angespanntes Schweigen. Kate konnte ihn langsam und
beherrscht atmen hören. So, als versuchte er, sich zu beruhigen. Alle
freundliche Wärme war aus seiner Stimme verschwunden.
    »Wo ist er jetzt? Der Spiegel, meine ich. Noch immer bei Moochie?«
    »Nein, er ist hier. Oben, in unserem Schlafzimmer, im Schrank.
Warum?«
    Walker gab so lange keine Antwort, dass Kate glaubte, er sei
vielleicht eingeschlafen.
    »Dad? Bist du noch da?«
    »Ja. Entschuldige. Ich habe nachgedacht.«
    Das klang wie … nein, nicht wie eine Lüge. Er würde sie nie belügen.
Es klang wie eine Ausflucht.
    »Wirst du aus alldem schlau, Dad? Gab es Verbindungen zwischen den
alten Familien? Nick hat versucht rauszukriegen, wer diese Glynis war, aber
Delia sagte, sie hätte keine Ahnung. Sagt der Name dir irgendetwas?«
    »Nein. Nein, er sagt mir gar nichts.«
    Wieder dieses Gefühl, als würde er auf vorsichtige Distanz gehen.
    Als würde er Ausflüchte machen.
    »Was sollen wir tun, Dad? Ich möchte Nick gern helfen. Und Sylvias
Familie auch. Rainey war … ist ein so netter Junge. Ich weiß, dass es schon
spät ist, Dad. Ich weiß, dass du eigentlich schlafen willst. Mir geht es nicht
anders. Aber hast du irgendeine Idee?«
    Sie wartete.
    »Benutzt ihr den Spiegel?«
    »Nein, natürlich nicht. Er ist ja eine Art Beweisstück.«
    »Ihr solltet ihn Delia zurückgeben. Oder ihrer Haushaltshilfe. So
bald wie möglich. Er ist bestimmt sehr wertvoll.«
    »Im Augenblick ist er, wie gesagt, ein Beweisstück. Das sagt Nick
jedenfalls. Hast du sonst noch einen Vorschlag?«
    »Ihr dürft ihn auf keinen Fall benutzen.«
    »Ich verstehe nicht ganz.«
    »Ich auch nicht.«
    Sie versuchte, einen Scherz zu machen.
    »Ist er vielleicht verhext?«, sagte sie und lächelte. »Ich meine,
wenn wir ihn zerbrechen, haben wir dann sieben Jahre Pech?«
    »Vielleicht solltet ihr genau das tun.«
    »Was tun?«
    »Ihn zerbrechen. In tausend Stücke. Und die Scherben in den Crater
Sink werfen.«
    »Du machst Witze.«
    Kurzes Schweigen.
    »Ja. Ich mache Witze. Tut mir leid, dass ich dir nicht helfen kann.
Ich muss jetzt ins Bett, und du ebenfalls. Ruf mich doch morgen Vormittag noch
mal an, so gegen elf. Dann können wir ausführlich reden.«
    »Mache ich, Dad. Ich hab dich lieb.«
    »Ich dich auch, Kate. Ich hab dich sehr lieb.«
    Kate kam nicht dazu, Dillon Walker am nächsten Vormittag
um elf Uhr anzurufen, und zwar hauptsächlich wegen der hektischen Aktivitäten
nach einem Anruf am frühen Morgen. Es war Tig Sutter, der Nick mitteilte,
Sylvia Teagues roter Porsche Cayenne sei drei Stunden zuvor von einer Streife
bei der Routinekontrolle eines Parkplatzes in der Nähe von Crater Sink entdeckt
worden. Ihre Ballerinas habe man am Rand des Sink gefunden.
    Trotz des von Marty Coors, dem Chef der State Police in Cap City,
angeordneten Einsatzes eines Tauchroboters blieb Sylvia Teague spurlos
verschwunden.
    Der Roboter tauchte tiefer und tiefer hinab, die Scheinwerfer
leuchteten nur wenige Meter durch das kalte schwarze Wasser und mussten sich
dann der trüben Dunkelheit geschlagen geben. Das Steuerkabel war
dreihundertfünfzig Meter lang.
    Das Sonarsystem zeigte nichts als Felswände und vielleicht einen
Seitenstollen, der in einer Tiefe von dreihundertdreißig Metern abzweigte und
wahrscheinlich eine Verbindung zum Tulip herstellte.
    Wenn Sylvia Teague tatsächlich im Crater Sink ertrunken war –
bislang hatte man keinen Abschiedsbrief gefunden, und Selbstmord war nur eine
von mehreren Möglichkeiten –, würde man warten müssen, bis sie aufgrund des
natürlichen Laufs der Dinge wieder an die Oberfläche kam.
    Vielleicht hatte irgendeine Strömung sie in den Stollen gezogen. In
diesem Fall würde eines Tages vielleicht das, was von ihr übrig war, im Fluss
auftauchen.
    Die Suche im Crater Sink beanspruchte

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