Nicholas Flame Bd. 1 Der Unsterbliche Alchemyst
menschenleere Straße trat. Der Nebel war so dicht geworden, dass die Autofahrer gezwungen waren, am Straßenrand anzuhalten. Es floss kein Verkehr mehr auf der Hauptstraße. Alles war unnatürlich still. Flamel wandte sich an Sophie. »Kannst du sagen, wo Josh ist?«
»Er wollte im Park auf uns warten.« Sie kniff die Augen zusammen, um besser zu sehen, doch der Nebel war so dicht, dass selbst sie kaum die Hand vor Augen erkennen konnte. Flankiert von Flamel und Scatty trat sie vom Bürgersteig auf die Straße. »Josh? Wo bist du?« Der Nebel schluckte ihre Worte und dämpfte sie zu einem Flüstern. Sie versuchte es noch einmal: »Josh?«
Keine Antwort.
Plötzlich kam ihr ein Gedanke und sie streckte die rechte Hand mit gespreizten Fingern aus. Ein Luftstoß ging von ihrer Hand aus, doch er hatte keinerlei Auswirkung auf den Nebel, außer dass sich Strudel bildeten und um sie her tanzten. Bei Sophies zweitem Versuch fegte ein eisiger Wind über die Straße und schnitt einen sauberen Korridor in den Nebel. Er streifte auch die hintere Stoßstange eines mitten auf der Straße abgestellten Wagens und hinterließ eine Beule. »Huch«, murmelte Sophie, »ich glaube, ich muss noch ein bisschen üben.«
Eine Gestalt trat in die Lücke im Nebel, danach eine zweite und eine dritte. Und keine war lebendig.
Am nächsten bei Sophie, Flamel und Scatty stand ein vollständiges Skelett, groß und aufrecht. Die Reste eines blauen Uniformmantels der US-Kavallerieoffiziere hingen in Fetzen an ihm und in den Knochenfingern hielt es den rostigen Stumpf eines Schwerts. Als es ihnen den Kopf zuwandte, knirschten die Halswirbel.
»Totenbeschwörung«, keuchte Flamel. »Dee hat die Toten aufgeweckt.«
Eine weitere Gestalt tauchte aus dem Nebel auf: Es war die Leiche eines Mannes mit einem riesigen Hammer, wie ihn die Streckenarbeiter der Eisenbahn bei sich trugen. Dahinter kam ein weiterer Toter; das Fleisch, das noch an ihm war, glich gegerbtem Leder. Zwei lederne Pistolengürtel schlackerten um seine Hüften, und als er die Gruppe sah, griffen seine Skelettfinger automatisch nach den nicht vorhandenen Waffen.
Sophie war starr vor Schreck. Der Wind aus ihren Fingern legte sich. »Sie sind tot«, flüsterte sie. »Skelette. Mumien. Alle tot.«
»Du sagst es«, bestätigte Scatty sachlich. »Skelette und Mumien. Es hängt davon ab, in welcher Art von Boden sie beerdigt wurden. In feuchter Erde gibt’s Skelette.« Sie machte einen Schritt nach vorn, ließ das Nunchaku wirbeln und schlug einem weiteren Haudegen, der versucht hatte, ein verrostetes Gewehr an die Schulter zu heben, glatt den Kopf ab. »Trockene Erde ergibt Mumien. Aber egal ob Skelett oder Mumie, wehtun können sie dir immer noch.« Der skelettierte Kavallerieoffizier mit dem abgebrochenen Schwert holte aus und sie wehrte den Hieb mit ihrem eigenen Schwert ab. Seine rostige Klinge zerbröselte. Scatty holte ein zweites Mal aus und trennte den Kopf vom Körper, der augenblicklich in sich zusammenfiel.
Obwohl sich die schlurfenden Gesellen vollkommen lautlos bewegten, hörte man jetzt von allen Seiten Schreie. Und obwohl der Nebel sie dämpfte, waren Angst und schieres Entsetzen deutlich herauszuhören. Die Bewohner von Ojai hatten mitbekommen, dass die Toten durch ihre Straßen marschierten.
Der Nebel wimmelte nur so von den Gestalten. Sie näherten sich dem Trio von allen Seiten und kesselten sie mitten auf der Straße ein. Im Wirbel der Nebelschwaden wurden für kurze Zeit immer mehr Skelette und Mumien sichtbar: Soldaten in den zerfetzten blauen und grauen Uniformen des Bürgerkriegs; Farmer in altmodischen Arbeitshosen; Cowboys mit abgewetzten Lederstulpen über zerrissenen Jeans; Frauen in langen, weiten Röcken, die in Fetzen an ihnen hingen; Minenarbeiter in speckigem Wildleder.
»Er hat den Friedhof einer dieser alten, verlassenen Städte um Ojai geöffnet!«, rief Scatty. Sie stand mit dem Rücken zu Sophie und verteilte Hiebe in alle Richtungen. »Die Kleider hier stammen alle aus der Zeit vor 1880.« Zwei Skelett-Frauen in den Resten ihres Sonntagsstaats mit passenden Hauben kamen mit ausgestreckten Armen auf ihren Knochenfüßen über die Hauptstraße geklappert. Scattys Schwert schnitt ihnen den Weg ab, doch langsamer wurden sie deshalb nicht. Scatty steckte das Nunchaku in den Gürtel, zog das zweite Schwert, kreuzte die Waffen vor sich und schlug dann beide Köpfe gleichzeitig ab. Sie kullerten in den Nebel, während die Skelette zu Knochenhaufen
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