Nicholas Flame Bd. 1 Der Unsterbliche Alchemyst
Perenelle bereits eine Zauberin. Allerdings brachte sie für die mathematischen Berechnungen und Formeln der Alchemie wenig Geduld auf. Aber Perenelle war es gewesen, die erkannt hatte, dass es sich bei dem Buch in dieser seltsamen, sich ständig verändernden Schrift nicht nur um irgendein Zauberbuch handelte, sondern um eine weltumspannende Sammlung überlieferten Wissens, magischer und naturwissenschaftlicher Erkenntnisse. In einer bitterkalten Winternacht hatte sie über den Seiten gebrütet und zugeschaut, wie die Wörter darübergekrochen waren und die Buchstaben sich immer wieder neu geformt hatten, und einen Herzschlag lang hatte sie die Formel für den Stein der Weisen gesehen und sofort gewusst, dass in diesem Buch das Geheimnis ewigen Lebens lag.
In den folgenden zwanzig Jahren hatte das Paar bei dem Versuch, das seltsame Manuskript zu entziffern und zu übersetzen, ganz Europa bereist, sich dann nach Osten ins Land der Russen gewandt, nach Nordafrika im Süden und selbst nach Arabien. Sie begegneten Magiern und Zauberern aus vielen Ländern und studierten viele verschiedene Arten von Magie. Nicholas interessierte sich nur am Rande dafür; sein Hauptinteresse galt weiterhin der Wissenschaft der Alchemie. Der Codex deutete an, dass es ganz präzise Formeln gab für die Verwandlung von Steinen in Gold und von Kohle in Diamanten. Perenelle lernte, so viel sie konnte, über alle magischen Künste aller Länder. Doch es dauerte lang, bevor sie diese Künste auch tatsächlich ausübte.
In der Limousine, eingezwängt neben dem Golem, fiel ihr ein Trick ein, den sie von einer Strega, einer Hexe in den sizilianischen Bergen, gelernt hatte. Eigentlich war er dafür gedacht, mit Rittern in voller Rüstung fertig zu werden, aber wenn man ihn ein wenig veränderte …
Perenelle schloss die Augen und konzentrierte sich. Dann beschrieb sie mit dem kleinen Finger einen Kreis auf dem Autositz. Dee war so in sein Telefonat vertieft, dass er den bläulich weißen Funken nicht bemerkte, der von ihrer Fingerspitze in das raue Leder übersprang. Der Funke lief durch den Sitz, und Perenelle spürte, wie er sich um die Federn der Polsterung wand. Zischend und knisternd schoss er an den Federn entlang in die Karosserie des Wagens. Er schlängelte sich in den Motorraum, tanzte über die Zylinder und kreiste fauchend und spuckend einmal um die Räder. Eine Radkappe sprang ab und rollte davon … Und dann spielte plötzlich die Elektrik des Wagens verrückt. Die Fenster öffneten und schlossen sich selbsttätig. Das Sonnendach ging surrend auf und mit einem Schlag wieder zu. Die Scheibenwischer quälten sich über die trockenen Scheiben und bewegten sich plötzlich so schnell hin und her, dass sie absprangen. Die Hupe ertönte in einem ungleichmäßigen Rhythmus. Innenlichter flackerten. Es roch nach Metall. Statische Elektrizität flirrte durch den Innenraum des Wagens. Dee warf sein Handy weg und pustete auf seine plötzlich taub gewordenen Finger. Das Handy fiel auf den weichen Teppichboden und explodierte.
»Du …«, begann Dee, dann kam der Wagen mit einem Ruck zum Stehen.
Sämtliche Funktionen versagten. Aus dem Motorraum schlugen Flammen und giftige Dämpfe drangen ins Wageninnere. Dee wollte die Tür öffnen, doch die hatte sich automatisch verriegelt. Mit einem wilden Aufschrei ballte er seine rechte Faust und ließ seine ganze Wut emporsteigen. Der Gestank nach Rauch, brennendem Plastik und schmelzendem Gummi wurde kurzzeitig überdeckt von Schwefelgeruch und Dees Hand wurde wie von einem goldglänzenden Metallhandschuh überzogen. Sie fuhr in die Tür und riss sie praktisch aus den Angeln. Dee warf sich hinaus auf den Betonboden.
Sie befanden sich in der Tiefgarage der »Enoch Enterprises«, der riesigen Unterhaltungsfirma in San Francisco, die Dee gehörte und die er leitete. Er kroch rückwärts davon, als sein Hundertfünfzigtausend-Dollar-Wagen mit Sonderausstattung in Flammen aufging. Der vordere Teil verformte sich in der ungeheuren Hitze und die Windschutzscheibe schmolz wie Wachs. Der Golem-Chauffeur saß immer noch am Steuer. Die Hitze konnte ihm offensichtlich nichts anhaben; lediglich seine Haut veränderte sich und sah aus wie steinhart gebacken.
Dann schaltete sich die Sprinkleranlage der Garage ein und eiskaltes Wasser wurde von oben in die Flammen gesprüht.
Perenelle!
Völlig durchnässt und hustend wischte Dee sich Tränen aus den Augen. Er richtete sich auf und löschte die Flammen mit einer
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