Nicholas Flame Bd. 1 Der Unsterbliche Alchemyst
Arme seitlich aus … Und dann schwebte sie zehn Zentimeter über dem Boden.
»Sophie?«, flüsterte Josh. Er konnte nicht verhindern, dass helle Angst in seiner Stimme mitschwang. »Sophie…!« Eingehüllt in einen silbrig glänzenden Nebel schwebte seine Schwester direkt vor ihm in der Luft. Das Licht, das von ihr ausging, war so stark, dass die runde Kammer in Abstufungen von Silber und Grau strahlte. Die Szene hätte aus einem Fantasyfilm stammen können, so irreal wirkte sie.
»Nicht anfassen«, befahl Hekate streng. »Ihr Körper versucht, die auf sie einströmenden Empfindungen aufzunehmen. Das ist ein sehr gefährlicher Augenblick.«
Josh bekam einen trockenen Mund. »Gefährlich… Wie gefährlich?« In seinem Kopf drehte sich alles , und er hatte das Gefühl, als würden seine schlimmsten Befürchtungen wahr.
»In den meisten Fällen kann das Gehirn eines Humani mit den neuen Sinneseindrücken nach dem Erwecken nicht umgehen.«
»In den meisten Fällen?«, flüsterte er entsetzt.
»In fast allen Fällen«, erwiderte Hekate bedauernd. »Deshalb hatte ich euch gewarnt.«
Josh stellte die Frage, auf die er eigentlich gar keine Antwort haben wollte: »Was passiert, wenn…?«
»Das Gehirn erlischt. Der Mensch fällt in ein Nichts – ein Koma, wie ihr es nennen würdet -, aus dem er nie mehr erwacht.«
»Und Flamel wusste , dass das passieren kann?« Josh spürte die Wut in einer großen Welle in sich aufsteigen. Ihm war speiübel. Der Alchemyst hatte gewusst, dass Sophie und er aller Wahrscheinlichkeit nach in ein Koma fallen würden, und hatte trotzdem gewollt, dass sie sich der Prozedur unterziehen. Die Wut, hinter der zu gleichen Teilen tiefe Angst steckte und das Gefühl, verraten worden zu sein, nahm ihm fast den Atem. Er hatte gedacht, Flamel sei ein Freund. Er hatte sich getäuscht.
»Natürlich«, erwiderte Hekate. »Er hat euch doch gesagt, dass es gefährlich werden kann, oder?«
»Aber er hat uns nicht alles gesagt«, hauchte Josh.
»Nicholas Flamel sagt nie und niemandem alles.« Eine Hälfte von Hekates Gesicht lag im Licht des silbernen Glanzes, der von Sophie ausging, die andere im Schatten. Plötzlich blähten sich Hekates Nasenflügel und ihre Augen wurden groß und rund. Sie schaute hinauf zur Wurzeldecke. »Nein«, rief sie, »nein!«
Sophie riss die Augen auf, öffnete den Mund und schrie: »Feuer!«
»Sie brennen den Weltenbaum nieder!«, schrie Hekate, das Gesicht zu einer wilden Grimasse verzogen. Sie stieß Josh zur Seite und stürmte hinaus auf den Korridor.
Josh blieb allein zurück – mit der Person, die einmal seine Zwillingsschwester gewesen war. Er starrte das Mädchen an, das da vor ihm in der Luft schwebte, und wusste nicht, was er tun sollte. Er traute sich nicht einmal, sie zu berühren. Er wusste nur eines: Zum ersten Mal in ihrem Leben waren sie getrennt. Sie waren auf eine Art und Weise verschieden, die er noch nicht einmal annähernd verstehen konnte.
KAPITEL SECHSUNDZWANZIG
W ir müssen gehen.« Nicholas Flamel fasste Josh an der Schulter und schüttelte ihn, damit er wieder in die Gegenwart zurückfand.
Josh schaute den Alchemysten an. Tränen liefen ihm über die Wangen, aber er merkte es nicht einmal. »Sophie…«, flüsterte er.
»… ist in Ordnung«, versicherte ihm Flamel.
Rufe erklangen draußen auf dem Korridor, man hörte Waffengeklirr, vermischt mit dem Gebrüll von Menschen und Tieren. Und über allem schwebte Scathachs gelöstes Lachen.
Flamel griff nach Sophie, die immer noch zehn Zentimeter über dem Boden schwebte. Als er ihre Hand ergriff, leuchtete seine Aura grünlich weiß. Behutsam zog er sie auf die Erde. Kaum hatten ihre Füße den Boden berührt, war es, als verließen sie ihre Kräfte, und er fing sie gerade noch auf, bevor sie bewusstlos zu Boden sank.
Josh war sofort an ihrer Seite. Er schob Flamel weg und nahm seine Schwester im Arm. Knisternde Energie sprang von Sophies verblassender Aura auf Josh über, doch die winzigen Stiche waren ihm egal. Er blickte zu Flamel hoch, das Gesicht wutverzerrt. »Du hast es gewusst ! Du hast gewusst, wie gefährlich das ist. Dass meine Schwester ins Koma fallen könnte.«
»Ich wusste, dass das nicht passieren würde«, erwiderte Flamel ruhig. »Ihre Aura – auch deine – sie sind zu stark. Ich wusste, dass ihr beide überleben würdet. Ich hätte keinen von euch bewusst in Lebensgefahr gebracht, das schwöre ich.« Er wollte nach Sophies Handgelenk greifen, um ihren Puls
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