Nicholas Flame Bd. 1 Der Unsterbliche Alchemyst
und fügte nach kurzer Pause hinzu: »Die Torc Allta und die Federnattern werden sie nicht lange aufhalten können.«
»Und die Morrigan und Bastet?«
»Habe ich nicht gesehen. Aber du kannst sicher sein, dass sie kommen, und wenn sie kommen…« Sie ließ den Satz unvollendet. Da Hekate noch mit den Zwillingen beschäftigt war, konnte nichts und niemand gegen die beiden Dunklen bestehen.
»Oh ja, sie werden kommen«, sagte Flamel.
Scatty trat näher zu ihm heran. Sie kannten sich jetzt seit mehr als dreihundert Jahren, und obwohl sie fast zwei Jahrtausende älter war als er, sah sie in ihm fast so etwas wie einen Vater. »Nimm die Zwillinge und verschwinde. Ich halte sie auf. Ich verschaffe euch so viel Zeit wie nur irgend möglich.«
Der Alchemyst legte der Kriegerprinzessin behutsam die Hand auf die Schulter. Eine winzige Menge Energie entlud sich zwischen ihnen und für einen kurzen Moment leuchteten beide auf. »Nein, so machen wir das nicht«, sagte Nicholas leise. »Wenn wir hier weggehen, gehen wir gemeinsam. Wir brauchen die Zwillinge, Scatty – nicht nur du und ich, die ganze Welt braucht sie. Ich bin überzeugt, dass nur sie sich den Dunklen entgegenstellen können. Nur sie können sie daran hindern, ihr höchstes Ziel zu erreichen und die Erde wieder in Besitz zu nehmen.«
Scatty blickte über die Schulter auf die Kammer, in der sich Josh und Sophie jetzt befanden. »Du verlangst sehr viel von ihnen. Wann willst du ihnen die volle Wahrheit sagen?«
»Wenn die Zeit…«, begann er.
Scatty unterbrach ihn. »Aber Zeit ist genau das, was du nicht hast. Der Alterungsprozess hat bereits eingesetzt. Ich sehe es in deinem Gesicht, um die Augen herum. Dein Haar wird grau.«
Flamel nickte. »Ich weiß. Der Unsterblichkeitszauber lässt nach. Jeder Tag, der vergeht, ohne dass wir ihn erneuern können, lässt Perenelle und mich um ein Jahr altern. Ende des Monats werden wir sterben. Aber das spielt dann schon keine Rolle mehr, denn wenn die Dunklen Älteren siegen, gibt es die Welt der Humani bis dahin nicht mehr.«
»Sorgen wir dafür, dass das nicht geschieht.« Scatty wandte sich ab und setzte sich auf den Boden, den Rücken gerade, die Beine in der perfekten Lotus-Position gekreuzt, die Hände locker um die Griffe der Schwerter gelegt, die über ihrem Schoß lagen. Falls die Katzen oder Vögel ins Haus eindrangen und den Gang entdeckten, mussten sie, um Hekate zu erreichen, an ihr vorbeigelangen – und sie würde dafür sorgen, dass sie diesen Vorstoß teuer bezahlten.
Hekate hatte Flamel einen kurzen Stock aus dem Holz des Baumhauses gegeben. Damit stellte er sich jetzt vor die Tür der Kammer, in der die Göttin mit den Zwillingen arbeitete. Falls es einem der Eindringlinge gelingen würde, sich an Scatty vorbeizudrücken, bekam er es mit ihm zu tun. Scatty kämpfte mit ihren Schwertern, mit Händen und Füßen, doch seine Waffen waren womöglich noch vernichtender. Er hob die Hand und der schmale Flur war plötzlich vom Duft nach Minze erfüllt. Er war immer noch mächtig – auch wenn jeder Einsatz von Magie ihn schwächte und an seiner Lebenskraft zehrte. Und Scatty hatte recht: Der Alterungsprozess hatte eingesetzt. Er spürte hier ein leichtes Ziehen und dort einen Schmerz, wo früher nichts gewesen war. Auch sah er nicht mehr so gut wie noch am Tag zuvor. Falls er gezwungen sein würde, Magie einzusetzen, würde das den Verfall seiner Kräfte nur beschleunigen, doch er war entschlossen, Hekate alle Zeit zu verschaffen, die sie brauchte. Er versuchte, ins Dunkel hinter sich zu spähen – vergeblich. Was in der Kammer geschah, wussten nur die drei, die sich darin befanden.
»Wir beginnen mit dem älteren Zwilling«, sagte Hekate.
Sophie merkte, dass ihr Bruder protestieren wollte, und drückte seine Hand so fest, dass sie praktisch hören konnte, wie seine Knochen knackten. Als Antwort trat er ihr gegen den Knöchel.
»Das ist so Tradition«, fuhr die Göttin fort. »Sophie…« Sie hielt kurz inne. »Wie lautet dein Familienname und wie heißen deine Eltern?«
»Newman. Und meine Mutter heißt Sara und mein Vater Richard.« Es kam ihr merkwürdig vor, von ihren Eltern anders zu reden als von Mom und Dad.
Das grüne Licht in der Kammer wurde heller und die Zwillinge sahen Hekates Silhouette vor den leuchtenden Wänden. Ihr Gesicht lag zwar im Dunkeln, doch die Augen reflektierten das grüne Licht, als wären sie aus Glas. Sie legte die Handfläche auf Sophies Stirn. »Sophie,
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