Nicholas Flame Bd. 1 Der Unsterbliche Alchemyst
mache die Nachhut«, sagte Flamel und trat zur Seite, damit Josh mit Sophie vorgehen konnte. »Alles, was uns folgt, bekommt es mit mir zu tun.«
Josh nickte nur. Noch traute er seiner Stimme nicht. Er war immer noch wütend auf den Alchemysten, weil er das Leben seiner Schwester in Gefahr gebracht hatte, musste aber zugeben, dass Flamel sich jetzt für sie einsetzte und sich selbst in große Gefahr brachte, um sie zu beschützen. Josh packte Sophie fester, ging auf die Wand aus Wurzeln und gepresster Erde zu, schloss die Augen… und marschierte mitten hindurch.
Er spürte kurz eine feuchte Kälte, und als er die Augen wieder öffnete, sah er Scatty direkt vor sich stehen. Sie befanden sich in einer niedrigen, schmalen Kammer, deren Wände, Decke und Boden ganz aus den knorrigen Wurzeln des Baumes bestanden. Moosplatten verströmten ein schwaches grünes Licht, und Josh sah, dass Scatty am Fuß einer schmalen Treppe stand, die nach oben führte. Sie hatte den Kopf zur Seite geneigt, doch bevor Josh fragen konnte, was sie hörte, trat Flamel durch die Wand. Er lächelte. Aus der Spitze seines Stabs trat ein grünliches Gas. »Das sollte sie eine Weile aufhalten.«
»Gehen wir«, drängte Scatty.
Die Treppe war so schmal, dass Josh mit Sophie auf den Armen mit eingezogenem Kopf seitwärts in einer Art Krebsgang gehen musste. Er drückte seine Schwester nah an sich, damit ihr Kopf und ihre Beine nicht an die rauen Wände stießen. Er tastete jede Stufe mit dem Fuß ab, bevor er darauftrat, denn schließlich wollte er nicht stürzen und seine Schwester fallen lassen. Irgendwann wurde ihm klar, dass die Treppe in den Raum zwischen der inneren und äußeren Rinde des großen Baumes geschnitten sein musste, und unwillkürlich stellte er sich vor, dass ein Baum in der Größe des Yggdrasill durchsetzt war von verborgenen Gängen und Zimmern, vergessenen Kammern und Treppen. Ob Hekate überhaupt wusste, wo sie waren? Dann begannen sich seine Gedanken zu überschlagen, und er fragte sich, wer wohl die Stufen in den lebendigen Baum geschlagen hatte. Dass es Hekate selbst gewesen war, konnte er sich nicht vorstellen.
Beim Hinaufsteigen rochen sie verbranntes Holz und hörten die Kampfgeräusche und Tierschreie immer deutlicher. Als sie sich nicht mehr unter der Erde befanden, nahmen Hitze und Rauch zu, und ein weiteres Geräusch war zu hören: ein tiefes, grollendes Stöhnen.
»Wir müssen uns beeilen.« Scattys Stimme kam aus dem Halbdunkel über ihnen. »Wir müssen uns wirklich beeilen…« Und irgendwie jagte die erzwungene Ruhe in Scattys Stimme Josh mehr Angst ein, als wenn die Kriegerprinzessin geschrien hätte. »Vorsicht! Wir sind jetzt an einem Ausgang angelangt. Wir stehen am Ende einer langen Wurzel, ungefähr dreißig Meter vom Baum entfernt. Und weit genug entfernt vom Kampfgeschehen«, fügte sie hinzu.
Josh bog um die Ecke und sah Scatty im streifigen Licht der Morgensonne, die durch ein Gewirr aus Ranken direkt über ihr schien. Sie drehte sich zu ihm um. Die Sonnenstrahlen färbten ihr rotes Haar golden und flossen fast magisch schön über die Gestalt der Kriegerin, die Klingen und Schafte ihrer kurzen Schwerter. Ringsherum hörte man Kampfgeräusche, doch lauter als alles andere war das tiefe, grollende Stöhnen, das in der Erde zu vibrieren schien.
»Was ist das für ein Geräusch?«, fragte Josh.
»Die Schreie Yggdrasills«, antwortete Scatty grimmig. »Hekates Feinde haben den Weltenbaum in Brand gesteckt.«
»Aber warum?« Josh fand die Vorstellung entsetzlich – dieser uralte Baum hatte doch niemandem etwas getan! Doch die Tat ließ ihn ahnen, welche Verachtung die Dunklen Älteren dem Leben entgegenbrachten.
»Hekates Macht ist untrennbar mit ihm verbunden. Ihre Magie hat ihn so groß werden lassen und seine Lebenskraft erhält ihre Kräfte. Sie glauben, wenn sie ihn vernichten, ist das auch das Ende der Göttin.«
Flamel kam die letzten Stufen heraufgekeucht und stellte sich neben Josh. Sein schmales Gesicht war hochrot und schweißbedeckt. »Ich werde alt«, sagte er mit einem müden Lächeln. Er schaute Scatty an. »Wie sieht dein Plan aus?«
»Einfach. Wir hauen hier ab – und das so schnell wie möglich.« Sie drehte das Schwert in ihrer linken Hand so, dass die Klinge flach auf ihrem ausgestreckten Arm lag.
Flamel und Josh stellten sich dicht neben sie und lugten durch das Rankengewirr in die mit dem Schwertgriff angezeigte Richtung. Am Rand der Wiese war Dr. John Dee erschienen;
Weitere Kostenlose Bücher