Nicholas Flame Bd. 1 Der Unsterbliche Alchemyst
wie die Berge in der Ferne zu Staub zerfielen, der in Spiralen in den schwarzen Himmel aufstieg und sich dort auflöste. »Ein echter Tod«, murmelte sie.
Dee kauerte zwischen den kläglichen Resten des Weltenbaums, während um ihn herum Hekates schöne Naturwelt zu Staub zerfiel und von unsichtbaren Winden weggeweht wurde. Die Göttin hatte ihr Schattenreich aus dem Nichts erschaffen, und ohne ihre Gegenwart, die es zusammenhielt, wurde es wieder zu nichts. Die Berge waren bereits verschwunden, weggeblasen wie Sandkörnchen, ganze Waldstücke verblassten und erloschen wie Lichter, die man ausblies. Der Mond war jetzt schon fast ganz verschwunden. Im Osten allerdings war die aufgehende Sonne noch ein goldener Lichtball und der Himmel war immer noch blau.
Die Krähengöttin wandte sich an ihre Tante. »Wie lange dauert es noch, bis alles verschwunden ist?«, fragte sie.
Bastet knurrte. »Wer weiß? Selbst ich habe noch nie den Tod eines ganzen Schattenreiches miterlebt. Minuten vielleicht…«
»Mehr brauche ich nicht.« Dee legte das Schwert Excalibur auf den Boden. Die glatt polierte Klinge war ein Spiegelbild der Schwärze, die von Westen hereinkroch. Dee suchte drei der größten Eisbrocken, die einmal Hekate gewesen waren, und legte sie auf die Klinge.
Die Morrigan und Bastet beugten sich über seine Schulter und beobachteten das Schwert, in dem auch sie sich verzerrt spiegelten. »Was ist so wichtig, dass du es hier machen musst?«, fragte Bastet.
»Das ist Hekates Reich«, erwiderte Dee, »und hier, genau hier, am Ort ihres Todes, ist die Verbindung zu ihr am stärksten.«
»Verbindung…?«, sagte Bastet, doch dann nickte sie. Sie wusste jetzt, was Dee vorhatte. Er versuchte sich in der schwärzesten und gefährlichsten aller schwarzen Künste.
»Totenbeschwörung«, flüsterte Dee. »Ich werde mit der toten Göttin reden. Sie hat so viele Jahrtausende an diesem Ort verbracht, dass er ein Teil von ihr geworden ist. Ich wette, dass ihr Bewusstsein noch aktiv und an ihr Reich gebunden ist.« Er streckte die Hand aus und berührte den Schwertgriff. Die schwarze Klinge glühte gelb, und die um den Griff eingeritzten Schlangen erwachten kurz zum Leben, zischten wütend, bevor sie wieder zu Stein wurden. Das Schmelzwasser der Eisbrocken lief über die Klinge und überzog sie mit einer dünnen, öligen Schicht. »Jetzt werden wir sehen, was wir sehen«, murmelte er.
Das Wasser auf der Klinge begann zu zischen und zu blubbern. In jeder Blase erschien ein Gesicht – Hekates Gesicht. Es durchlief flackernd ihre drei Altersstufen, nur die Augen, die Dee buttergelb und hasserfüllt anstarrten, blieben dieselben.
»Rede zu mir!«, rief Dee. »Ich befehle es dir. Warum kam Flamel hierher?«
Hekates Stimme war ein blubberndes, wässriges Schnauben: » Um dir zu entkommen. «
»Erzähle mir etwas über die Humani-Kinder.«
Die Bilder, die auf der Klinge erschienen, wiesen erstaunlich viele Einzelheiten auf. Sie zeigten aus Hekates Perspektive, wie Flamel mit den Zwillingen ankam, zeigten die beiden Jugendlichen, wie sie ängstlich und blass in dem zerbeulten Wagen saßen.
» Flamel glaubt, sie sind die legendären Zwillinge. Die Zwillinge, von denen der Codex spricht. «
Die Morrigan und Bastet beugten sich tiefer über das Schwert. Das sich rasch ausbreitende Nichts beachteten sie nicht länger. Im Westen waren keine Sterne mehr zu sehen; auch der Mond war verschwunden und mit ihm große Teile des Himmels. Nichts war mehr da außer Schwärze.
»Sind sie es?«, fragte Dee.
Das nächste Bild auf der Schwertklinge zeigte die Zwillinge mit ihren Auren aus Silber und Gold.
»Mond und Sonne«, murmelte Dee. Er wusste nicht, ob er entsetzt oder hocherfreut sein sollte. Seine Vermutung hatte sich bestätigt. Vom ersten Moment an hatte er sich gefragt, ob die Jugendlichen die Zwillinge sein könnten.
»Sind es die Zwillinge, die in den Legenden vorhergesagt werden?«, fragte er erneut.
Bastets massiger Kopf war jetzt direkt neben seinem. Die dreißig Zentimeter langen Barthaare kitzelten ihn, aber er traute sich nicht, sie wegzuschieben. Dafür waren ihre Zähne zu nah an seinem Gesicht. Sie roch nach nasser Katze und Weihrauch. Dee spürte ein Kitzeln in der Nase. Gleich musste er niesen. Die Göttin wollte nach dem Schwert greifen, doch er hielt ihre Hand fest. Es war, als umfasste er eine Löwenpranke, und die eingezogenen Krallen waren seinen Fingern gefährlich nah. »Die Klinge bitte nicht berühren. Das
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