Nicholas Flame Bd. 1 Der Unsterbliche Alchemyst
ist ein sehr heikler Zauber. Wir haben vielleicht noch Zeit für eine oder zwei Fragen«, fügte er hinzu und nickte in Richtung Westen, wo der Horizont bereits zu zerfallen begann und wie bunter Staub davonflog.
Bastet starrte die schwarze Klinge an; die Augen mit den schmalen Pupillen leuchteten. »Meine Schwester hat – oder sollte ich besser sagen: hatte? – eine ganz spezielle Gabe. Sie konnte in anderen Kräfte wecken. Frag sie, ob sie es bei den Humani-Zwillingen getan hat.«
Plötzlich verstand Dee. Er hatte sich gefragt, warum Flamel die Zwillinge ausgerechnet hierher gebracht hatte. Jetzt erinnerte er sich: Früher glaubte man, Hekate hätte besondere Kräfte und könne die auch in anderen freisetzen. »Hast du die magischen Kräfte der Zwillinge geweckt?«, fragte er.
Eine einzelne Luftblase platzte. » Nein. «
Dee hockte sich überrascht auf die Fersen. Er hatte »Ja« als Antwort erwartet. War Flamel gescheitert?
Bastet knurrte. »Sie lügt.«
»Sie kann nicht lügen«, erwiderte Dee. »Sie muss die Fragen, die wir stellen, wahrheitsgemäß beantworten.«
»Ich habe das Mädchen mit eigenen Augen gesehen«, gab Bastet zurück. »Ich habe gesehen, wie sie eine Peitsche aus reiner Aura-Energie schwang. Seit der Zeit der Älteren habe ich keine so geballte Macht mehr gesehen.«
Dr. John Dee sah sie aus zusammengekniffenen Augen an. »Du sagst, du hast das Mädchen gesehen… aber was war mit dem Jungen? Was tat er?«
»Auf ihn habe ich nicht geachtet.«
»Ha!«, rief Dee triumphierend. Er wandte sich wieder an das Schwert.
Der Umhang der Morrigan raschelte warnend. »Sieh zu, dass es die letzte Frage wird, Doktor.«
Alle drei schauten auf: Die Schwärze war schon fast über ihnen. In weniger als dreißig Metern über ihren Köpfen endete die Welt im Nichts.
Dee wandte sich noch einmal dem Schwert zu. »Hast du das Mädchen erweckt?«
Eine Blase platzte, und die Klinge zeigte Bilder von Sophie, wie sie sich mit silbern glänzender Aura vom Boden erhob. » Ja. «
»Und den Jungen?«
Das Schwert zeigte Josh, wie er in einer Ecke der dunklen Kammer kauerte. » Nein. «
Die Klauenhände der Morrigan packten Dee an den Schultern und zogen ihn hoch. Er bekam gerade noch sein Schwert zu fassen und schüttelte die Wassertropfen in die rasch um sich greifende Schwärze.
Das ungleiche Trio – die hochgewachsene Bastet, die schwarze Morrigan und der kleine Mensch – rannte davon, als die Welt hinter ihm im Nichts versank. Die Letzten ihrer Armee – die Vogel- und Katzenmenschen – liefen ziellos umher. Als sie ihre Anführer fliehen sahen, folgten sie ihnen. Bald rannte alles in Richtung Osten, wo noch ein Rest des Schattenreiches übrig war. Senuhet humpelte hinter Bastet her und bat sie laut, ihm zu helfen. Doch die Welt löste sich zu schnell auf. Sie schluckte Vögel und Katzen, nahm die uralten Bäume und seltenen Orchideen mit, die magischen Geschöpfe aus den Mythen. Sie verschlang auch den letzten Rest von Hekates Magie.
Dann saugte das Nichts die Sonne ein und Hekates Welt war nicht mehr.
KAPITEL ZWEIUNDDREISSIG
D ie Morrigan und Bastet brachen durch die dichte Hecke; John Dee schleiften sie zwischen sich mit. Einen Augenblick später verschwand die Blätterwand und einer der vielen gewundenen Wege zum Mount Tamalpais lag vor ihnen. Sie stolperten und Dee fiel der Länge nach in den Schmutz.
»Was jetzt?«, fragte Bastet. »Haben wir verloren? Haben sie gewonnen? Wir haben Hekate vernichtet, aber sie hat das Mädchen erweckt.«
John Dee rappelte sich auf und bürstete seinen ruinierten Mantel ab. Das Leder an den Ärmeln war voller Kratzer und Risse und im Futter war ein faustgroßes Loch. Nachdem er Excalibur sorgfältig abgewischt hatte, steckte er das Schwert in seine verborgene Scheide zurück. »Das Mädchen kann uns im Moment gleichgültig sein – auf den Jungen müssen wir uns konzentrieren. Der Junge ist der Schlüssel.«
Die Morrigan schüttelte den Kopf; Federn raschelten. »Du sprichst in Rätseln.« Sie schaute hinauf in den klaren Morgenhimmel und wie auf einen stummen Befehl hin erschien direkt über ihr ein grauer Wolkenschleier.
»Er hat gesehen, wie die gewaltigen magischen Kräfte seiner Schwester geweckt wurden. Was glaubt ihr, wie der Junge sich jetzt fühlt? Ist er verängstigt, wütend, eifersüchtig? Fühlt er sich allein gelassen?« Er schaute von der Morrigan zur Katzengöttin. »Der Junge hat mindestens genauso viele verborgene Kräfte wie das
Weitere Kostenlose Bücher