Nicholas Flamel Bd. 3 Die mächtige Zauberin
sich zu Clarent hinunterbeugte. »Ich habe dieses Schwert lange nicht mehr gesehen«, sagte der Ritter leise, und sein Akzent, der auf seine Herkunft aus dem Nahen Osten verwies, kam wieder deutlicher heraus. In dem Moment, als er die Waffe berührte, begann seine Aura zu leuchten, und einen Augenblick lang war er in eine lange schwarze Panzerschürze gehüllt, zu der er eine eng anliegende Kettenhaube und ein Kettenhemd trug, das die Arme und Hände bis zu den Fingerspitzen bedeckte und weit über die Hüfte reichte. Jedes einzelne Kettenglied reflektierte glitzernd das Licht. Als seine Aura wieder erlosch, schimmerte Clarents Steinklinge rötlich-schwarz wie Öl auf Wasser. Ein Seufzen ging von ihr aus, als streiche der Wind durch hohes Gras.
»Nein!« Die dunkle Klinge färbte sich erneut blutrot. Palamedes holte stotternd Luft und ließ das Schwert dann unvermittelt fallen; seine dunkle Haut glänzte vor Schweiß. Die Spitze der Waffe bohrte sich in die Erde und der Griff schwankte hin und her. Der Boden um die Schwertspitze herum wurde augenblicklich hart, trocknete und riss dann auf. Palamedes rieb kräftig die Hände aneinander und wischte sie danach an den Hosenbeinen ab. »Ich dachte, es sei Excal…« Er wandte sich an Flamel. »Was machst du mit dem … Ding? Du musst doch wissen, was es damit auf sich hat!«
Der Alchemyst nickte. »Ich habe es jahrhundertelang sicher verwahrt.«
»Du hast es verwahrt!« Der Ritter ballte die kräftigen Hände zu Fäusten. Die Adern an seinen Unterarmen und am Hals traten hervor. »Warum hast du es nicht zerstört, wenn du gewusst hast, worum es sich handelt?«
»Es ist älter als die Menschheit«, antwortete Flamel leise, »sogar älter als die Erstgewesenen oder Danu Talis. Wie hätte ich es zerstören können?«
»Es ist widerlich«, schnaubte Palamedes. »Weißt du, was es getan hat?«
»Es war ein Werkzeug, nichts anderes. Böse Menschen haben es benutzt.«
Palamedes schüttelte den Kopf.
»Wir brauchen es, wenn wir fliehen wollen«, sagte Flamel bestimmt. »Und vergiss nicht, ohne Clarent wäre Nidhogg noch am Leben und würde durch Paris toben.«
Josh kam herüber, zog das Schwert aus dem Boden und säuberte die Klingenspitze, an der Erde klebte, an seiner Schuhsohle. Ganz kurz lag eine Spur von Orangenduft in der Luft, doch er roch bitter und leicht säuerlich. In dem Moment, als Josh den Schwertgriff berührt hatte, war eine Welle von Gefühlen und Bildern über ihn hinweggeschwappt. Er schloss die Augen.
Palamedes, der sarazenische Ritter, an der Spitze eines ganzen Dutzends weiterer Ritter in voller Rüstung. Sie sind übel zugerichtet, die Rüstungen zerkratzt und zum Teil gebrochen, die Waffen haben abgeschlagene Spitzen und die Schilde sind eingedellt. Sie kämpfen sich durch eine Armee aus primitiv aussehenden tierähnlichen Männern und versuchen, auf einen Hügel zu gelangen, auf dem ein einzelner Krieger in goldener Rüstung verzweifelt gegen Kreaturen kämpft, die eine schreckliche Kreuzung aus Mensch und Tier zu sein scheinen
Palamedes brüllt eine Warnung, als eine der riesigen Kreaturen sich hinter dem einsamen Krieger aufbäumt. Es ist ein Wesen, das die Gestalt eines Menschen hat, auf dem Kopf aber das weit ausladende Geweih eines Hirsches trägt. Der Mann mit dem Geweih schwingt ein kurzes Steinschwert und der Krieger in Gold fällt.
Palamedes steht über den gefallenen Krieger gebeugt und nimmt ihm vorsichtig das Schwert Excalibur aus der Hand.
Palamedes verfolgt den Hirschmann und stürmt dabei durch ein morastiges Sumpfgebiet. Bestien greifen ihn an – Wildschwein- und Bärenmenschen, Wolfsmenschen und Ziegenmenschen –, doch er kämpft sich seinen Weg mit Excalibur frei. Das Schwert glüht und hinterlässt kalte blaue Lichtbögen in der Luft.
Palamedes steht am Fuß einer fast senkrecht aufragenden Klippe und beobachtet, wie der Hirschmann ohne jede Anstrengung hinaufklettert. Oben angelangt dreht die Kreatur sich um und hält das Schwert, mit dem sie den König getötet hat, hoch. Rotschwarzer Rauch steigt von der Waffe auf. Und sie sieht fast genauso aus wie das Schwert in der Hand des sarazenischen Ritters.
Josh holte keuchend Luft, als die Bilder verblassten. Der Mann mit dem Hirschgeweih hatte Clarent in den Händen gehalten, das Gegenstück zu Excalibur. Als Josh die Augen öffnete, fiel sein Blick auf Clarent, und im selben Augenblick wusste er, weshalb Palamedes danach gegriffen hatte. Die beiden Schwerter waren fast
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