Nicholas Flamel Bd. 3 Die mächtige Zauberin
…« Er wies mit dem Kinn auf das Rudel, das reglos unter der Hütte lag. »Er hat ausgesehen wie die hier, nur dass er größer war und sauberer. Er scheint in den Straßen zu patrouillieren. Und die Sicherheitsvorkehrungen sind dir ja selbst aufgefallen«, fügte er aufgeregt hinzu. »Es gibt nur den einen schwer bewachten Eingang, von dem aus alles in eine schmale Gasse gelenkt wird. Es spielt also keine Rolle, wie groß deine Armee ist, es können nur immer zwei oder drei Soldaten gleichzeitig angreifen. Und sie können auch noch von oben, von den Zinnen aus beschossen werden.«
So hatte Sophie ihren Bruder noch nie reden gehört. Besorgt legte sie ihm die Hand auf den Arm und drückte ihn fest. »Josh!«, sagte sie in scharfem Ton. »Hör auf! Wie kommt’s, dass du plötzlich so gut über die Verteidigung von Burgen Bescheid weißt …?« Ihre Stimme war immer leiser geworden, da sich ein beunruhigender Gedanke in ihr Unterbewusstsein eingeschlichen hatte.
»Keine Ahnung«, gab Josh zu. »Ich … Ich weiß es einfach. Es ist wie in Paris. Da habe ich auch gewusst, dass Dee und Machiavelli nur von einem erhöhten Standpunkt aus die Wasserspeier kontrollieren können. Und heute Morgen, als diese drei Gestalten angreifen wollten …«
»Die Genii Cucullati«, murmelte Sophie geistesabwesend. Sie drehte sich um und sah Flamel mit steifen Gliedern aus dem Taxi steigen. Als er noch einmal in den Wagen griff und Joshs Rucksack herausholte, fiel ihr auf, dass seine Knöchel leicht geschwollen waren. Ihre Tante Agnes in Pacific Heights, einem Stadtteil von San Francisco, hatte Arthritis, und ihre Knöchel waren auch geschwollen. Der Alchemyst alterte zusehends.
»Genau. Ich wusste aufgrund ihrer Körpersprache, dass sie angreifen würden. Ich wusste, dass der in der Mitte als Erster lospreschen und direkt auf uns zukommen würde, während die anderen versuchen würden, uns von den Seiten her anzugehen. Ich wusste, wenn ich ihn stoppen kann, lenkt das die anderen beiden vielleicht so stark ab, dass wir fliehen können.« Als Josh merkte, was er da sagte, hielt er abrupt inne. »Woher hab ich das eigentlich alles gewusst?«, überlegte er laut.
»Mars«, flüsterte Sophie. »Dieses Wissen kannst du nur von dem Kriegsgott haben.« Es schauderte sie. Ihr Bruder und sie selbst waren dabei, sich zu verändern. Nein – sie schüttelte leicht den Kopf –, sie hatten sich bereits verändert.
»Mars. Ich … Ich erinnere mich«, sagte Josh genauso leise. »Als er meine Kräfte geweckt hat, hat er zum Schluss gesagt, er würde mir ein Geschenk machen, das mir später einmal nützlich sein könnte. Dann hat er mir die Hand auf den Kopf gelegt und eine unglaubliche Wärme ist durch mich hindurchgeströmt.« Er sah seine Schwester an. »Was war das für ein Geschenk? Ich habe keine seltsamen Erinnerungen wie du von der Hexe.«
»Dafür, dass du seine Erinnerungen nicht hast, solltest du wahrscheinlich dankbar sein«, sagte Sophie rasch. »Die Hexe hat Mars gekannt und ihn verachtet. Ich kann mir vorstellen, dass seine Erinnerungen zum größten Teil grauenhaft sind. Ich glaube, er hat dir sein militärisches Wissen vermacht.«
»Er hat mich zu einem Krieger gemacht?« Auch wenn die Vorstellung gruselig war, gelang es Josh nicht, die leise Begeisterung aus seiner Stimme herauszuhalten.
»Vielleicht zu etwas viel Besserem«, antwortete Sophie gedankenverloren. Ihre Augen blitzten silbrig. »Ich glaube, er hat einen Strategen aus dir gemacht.«
»Und das findest du gut?« Er klang enttäuscht.
Sophie nickte rasch. »Schlachten werden von Soldaten gewonnen. Kriege von Strategen.«
»Wer hat das gesagt?«, fragte Josh überrascht.
»Mars.« Sophie schüttelte den Kopf, um die Erinnerungen, die plötzlich auf sie einströmten, wieder loszuwerden. »Begreifst du nicht? Mars war der ultimative Stratege; er hat nie eine Schlacht verloren. Es ist ein wunderbares Geschenk.«
»Aber warum hat er es mir gemacht?« Josh sprach aus, was Sophie dachte.
Bevor sie antworten konnte, ging die Tür der Blechhütte plötzlich quietschend auf, und eine Gestalt in einem schmutzigen Arbeitsoverall lief eilig die Treppe hinunter. Der Mann war klein und schlank und hatte ein schmales Gesicht. Er ging leicht vornübergebeugt und blinzelte kurzsichtig zu dem Taxi hinüber. Er trug einen ausgedünnten Schnauzbart und hatte auf dem Oberkopf eine Glatze; dafür hingen ihm die Haare über den Ohren und im Nacken bis auf die
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