Nicholas Flamel Bd. 3 Die mächtige Zauberin
anschließen. Die beiden uralten Clans werden wieder eins.« Er hob die Keule und plötzlich kam Bewegung in das Dunkel hinter dem Archon. Die zusammengepferchten Wölfe stürmten vorwärts, die Mäuler weit aufgerissen.
Sophie schloss die Augen, drückte mit dem Daumen auf den Tattookreis und erzeugte einen winzigen Flammenball in ihrer Handfläche. Sie grub die Finger der anderen Hand in Joshs Schulter und zog ihn vom Rand des Grabens weg. Dann ließ sie die brennende Kugel in die zähe schwarze Flüssigkeit fallen.
Sie blieb eine Sekunde auf der Oberfläche liegen und versank dann zischend. Weißer Dampf stieg auf.
»Oh«, flüsterte Sophie. Sie hatte das Gefühl, als sei alle Luft aus ihrer Lunge gewichen, und rang nach Atem. Sie war zwar erst am Tag zuvor in der Magie des Feuers unterwiesen worden, dennoch waren die damit verbundenen Fähigkeiten schon ein Teil von ihr geworden. Mit Feuermagie hatte sie gegen die Disir und die Wasserspeier gekämpft, doch jetzt merkte sie, wie wenig sie darüber wusste. Sie musste noch so viel lernen.
Die Wilde Jagd kam lautlos auf den Graben zugeprescht. Josh ließ sich rasch auf ein Knie nieder und tauchte Clarent kurz in die ölige Flüssigkeit, die sich sofort entzündete. Ein dumpfer Knall war zu hören und schwarze Flammen schossen zum Himmel. Die Wucht der Explosion warf Josh und Sophie um – und auf der anderen Grabenseite stürzte und verknäulte sich die Wilde Jagd, als die Wolfsmenschen vor den Flammen zurückzuweichen versuchten. Einige schlitterten auf dem nassen Boden hilflos weiter auf den Graben zu, andere wurden durch den Druck von hinten ins Feuer geschoben. Sie zerfielen augenblicklich zu winzigen schwarzen Kohlestückchen.
»Dafür wirst du bezahlen!« Cernunnos zeigte mit der Keule auf Josh. »Und ich hole … mir mein Schwert zurück, Junge!«
»Lass es mich noch einmal versuchen.« Sophie schnippte mit den Fingern und schickte einen dicken Feuerstrahl über die gewaltige Keule. Die loderte sofort auf und es roch eklig nach verbrannten Knochen. »Hat deine Mutter dir nicht beigebracht, dass es unhöflich ist, auf andere zu zeigen?«
K APITEL E INUNDDREISSIG
P erenelle Flamel trat von der letzten Stufe der rostigen Leiter, legte den Kopf in den Nacken und schaute hinauf zu dem winzigen Kreis blassblauen Himmels hoch über ihr. Sie runzelte die Stirn. Etwas, das aussah wie eine Wolke, kam durch den langen Schacht, der zu dem ehemaligen Schmugglertunnel unter der Insel führte, direkt auf sie zu. Die Wolke veränderte ihre Form, rollte sich auf und nahm dann die Gestalt von Juan Manuel de Ayala an.
»Madame Perenelle?« , begann der Seemann in formellem Spanisch. »Was machst du denn da unten?«
»So genau weiß ich das auch nicht«, gab Perenelle zu. »Ich habe mir gedacht, ich könnte vielleicht der Krähengöttin einen Besuch abstatten.« Am Tag zuvor – war es wirklich erst gestern gewesen? – hatten Perenelle und Areop-Enap die Morrigan besiegt, die Krähengöttin mitsamt ihrer Vogelarmee. Die Urspinne hatte die Morrigan einigen ihrer vögelfressenden Spinnen zum Fraß vorwerfen wollen, doch Perenelle war dagegen gewesen und hatte die Erstgewesene gebeten, die mit Spinnenfäden umwickelte Göttin in eine der lichtlosen Zellen tief unter der Insel zu bringen.
Als Perenelle Areop-Enap aus ihrem Gefängnis befreit hatte, hatte sie ein kunstvolles Muster aus Speeren zerstört, die vor ihrer Zelle in die Erde gesteckt worden waren. Auf den einzelnen Speerspitzen standen Kraftworte geschrieben, die zusammen eine für Erstgewesene unüberwindbare Barriere darstellten. Nachdem Areop-Enap die verschnürte Morrigan in die Zelle gebracht hatte, hatte Perenelle ihr außergewöhnlich gutes Gedächtnis durchforscht und die Speere wieder in der ursprünglichen Anordnung aufgestellt. Dann hatte sie mit Schlamm und Muscheln die komplexen Zeichen auf den Speerspitzen nachgemalt und die Morrigan hinter Kraftworten und Symbolen aus einer Zeit vor den Erstgewesenen eingeschlossen. Nur ein Mensch konnte sie befreien; ein Erstgewesener oder Angehöriger der Nächsten Generation konnte sich dem unsichtbaren, aber tödlichen urzeitlichen Fluch nicht einmal nähern.
»Meine Liebe« , drängte de Ayala, »wir müssen dich von der Insel bringen.«
»Ich weiß.« Perenelle verzog angewidert das Gesicht, als sie bis zu den Knöcheln in stinkendem, fischigem Schlamm versank. »Ich arbeite daran. Hast du die Nereiden gesehen?«
»Ein Dutzend von ihnen sonnt sich auf den
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