Nicholas Flamel Bd. 3 Die mächtige Zauberin
Felsen auf der Ozeanseite und zwei weitere habe ich beim Dock gesehen. Von ihrem Vater Nereus war zwar keine Spur zu sehen, aber ich weiß, dass er ganz in der Nähe sein muss.« Kleine Schnipsel des Geistes schwebten davon, als er die Arme um sich schlang. »Sie können nicht an Land kommen … aber er. Und er wird es auch tun.«
Perenelle watete ein paar Schritte den Korridor hinunter. Über die Schulter hinweg sah sie den Geist überrascht an. »Das habe ich nicht gewusst.«
»Die Nereiden haben den Körper einer Frau, aber einen Fischschwanz. Nereus hat so etwas wie Beine. Manchmal geht er bei einsamen Fischerdörfchen an Land, um … zu speisen. Oder er schleicht sich nachts auf ein Schiff und schnappt sich den erstbesten Matrosen, der nicht auf der Hut ist.«
Perenelle blieb stehen und blickte den Korridor hinunter. Am Ende fiel er zum Meer hin ab, und vor ihrem geistigen Auge stand plötzlich das Bild des Meergottes, wie er den Tunnel herauf auf sie zugeschlichen kam. Mit einem Kopfschütteln verscheuchte sie das Bild, schnippte mit den Fingern und erzeugte eine wenige Zentimeter lange, kerzenähnliche weiße Flamme, die knapp über der Mitte ihrer Stirn schwebte. Wie die Lampe an einem Grubenhelm schickte sie einen weißlichen Lichtstrahl vor ihr her. Perenelle drehte sich zu de Ayala um. »Hältst du bitte Wache und warnst mich, wenn jemand oder etwas kommt?«
»Selbstverständlich.« Der Geist knickte in der Mitte ab; ein Versuch, sich ohne Beine zu verbeugen. »Aber warum bist du hier? Hier ist nichts außer der Krähengöttin.«
Perenelles Lächeln erhellte die Dunkelheit. »Genau die will ich besuchen.«
»Bist du hergekommen, um dich an meinem Unglück zu weiden?« Die Stimme der Morrigan war ein heiseres, fast maskulines Schnarren.
»Nein«, antwortete Perenelle wahrheitsgemäß. Sie stand mit verschränkten Armen vor dem Eingang zur Zelle und sah hinein. »Ich bin hergekommen, um mit dir zu reden.«
Areop-Enap hatte mitten in der unterirdischen Zelle ein wunderschönes rundes Netz gesponnen. Die Fäden waren ungefähr so dick wie Perenelles kleiner Finger, und im Licht der Feuerzunge, die über ihrem Kopf schwebte, glänzten sie wie flüssiges Silber. Genau in der Mitte des Netzes hing mit ausgebreiteten Armen die Krähengöttin. Ihr schwarzer Federumhang war um sie herum aufgefächert. Es sah aus, als verharrte sie einfach in der Luft und könnte jeden Augenblick zu Boden flattern.
»Du siehst nicht gut aus«, bemerkte Perenelle. In dem sanften Licht sah sie, dass die gewöhnlich alabasterweiße Haut der Morrigan einen grünlichen Schimmer angenommen hatte. Ihre schwarze Lederkombi war getrocknet und wies lange Risse auf, durch die die blasse Haut der Göttin zu sehen war. Die silbernen Nieten an ihrer Weste waren fleckig und schwarz angelaufen und der schwere Ledergürtel tropfte vor Feuchtigkeit. Die eingearbeiteten runden Schutzmarken schimmerten mattgrün wie ihr Gesicht.
Die Morrigan lächelte und ließ die Zungenspitze über ihre schwarzen Lippen gleiten. »Und du bist alt geworden, seit wir das letzte Mal miteinander gesprochen haben. Wir werden gemeinsam sterben, du und ich.«
Perenelle hob die Hand und die Flammenzunge schwebte näher zu der Morrigan heran. Die Krähengöttin versuchte, den Kopf wegzudrehen, doch das klebrige silberne Netz ließ es nicht zu. Ihre kohlschwarzen Augen reflektierten das Licht, und es hatte den Anschein, als hätte sie Pupillen. Ihr Gesicht ließ unter dem Fleisch die Knochen erahnen.
»Du siehst krank aus«, sagte Perenelle. »Gut möglich, dass du vor mir gehst.«
»Die Bindesymbole sind Gift für mich«, fauchte die Morrigan. »Aber das hast du ja sicher vorher gewusst.«
Perenelle betrachtete das schwungvolle eckige Zeichen, das sie auf die am nächsten stehende Speerspitze gemalt hatte. »Nein, habe ich nicht. Ich wusste, dass sie Areop-Enap hier festgehalten haben, aber geschadet haben sie ihr anscheinend nicht.«
»Areop-Enap gehört zu den Erstgewesenen. Ich zur Nächsten Generation. Wie bist du übrigens auf die Symbole gekommen?« Die Morrigan stieß ein tiefes, trockenes Husten aus. »Viele Erstgewesene und ein Großteil der nächsten Generation halten die Bindesymbole und Kraftworte für eine Legende.«
»Ich bin nicht darauf gekommen. Dein Freund Dee hat sie benutzt, um Areop-Enap in der Zelle, in der du jetzt bist, gefangen zu halten«, erzählte die Zauberin.
Die dunklen Lippen der Morrigan zuckten verächtlich. »Dee? Dee kennt
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