Nicholas Flamel Bd. 3 Die mächtige Zauberin
seinen Händen, und zum ersten Mal sah Josh in kurz aufblitzenden Bildern die Reihe der Krieger, die die uralte Klinge schon geführt hatten. Krieger, die sich einem übermächtigen Feind entgegengestellt hatten, die Monster und Dämonen niedergerungen und gegen ganze Armeen gekämpft hatten. Einige - viele – waren dabei umgekommen. Aber keiner war davongelaufen. Die Steinklinge wisperte Zustimmung in Joshs Kopf. Ein Krieger lief nicht davon.
»Josh …« In der Stimme des Alchemysten schwang deutlich Wut mit.
»Wir bleiben!«, schnaubte Josh. Er drehte sich zu Flamel um und etwas in der Miene und den Augen des Jungen ließ den Alchemysten zurückweichen.
»Dann setzt du dich und deine Zwillingsschwester einer schrecklichen Gefahr aus«, sagte er eisig.
»Wir waren von dem Augenblick, als wir dir begegnet sind, schrecklichen Gefahren ausgesetzt«, erwiderte Josh. Unbewusst hob er die rauchende Klinge und malte zwei Wellenlinien mit ihr in die Luft. »In den letzten Tagen haben wir nichts anderes getan, als mit dir von einer Gefahr in die andere zu laufen.« Er entblößte die Zähne in einem grausamen Lächeln. »Vor dir wegzulaufen, wäre wahrscheinlich das Beste gewesen.«
Flamel verschränkte die Arme und Josh stieg wieder dieser bittere Minzegeruch in die Nase. »Ich werde so tun, als hättest du das nie gesagt.«
»Aber ich habe es gesagt. Und ich habe es auch so gemeint.«
»Du bist übermüdet«, sagte Flamel leise. »Deine Kräfte wurden gerade erst geweckt, und du hast noch keine Zeit gehabt, dich daran zu gewöhnen. Vielleicht ist etwas von Mars’ Wissen in dich eingeströmt und verwirrt dich. Und«, fügte er mit einem Blick auf das Schwert hinzu, »du trägst die Klinge des Verräters. Ich weiß, was sie anrichten kann: die Träume, die sie vorgaukelt, die Versprechen, die sie macht. Sie schafft es sogar, dass ein Junge sich für einen Mann hält.« Er hielt inne, atmete tief durch und zwang sich zu einem anderen Ton. Als er weitersprach, war keine Bitterkeit mehr in seiner Stimme. »Josh, du denkst nicht klar.«
»Da bin ich anderer Meinung«, entgegnete Josh. »Zum ersten Mal denke ich sehr klar. Das hier – das alles – passiert wegen uns.« Er blickte über Flamels Schulter auf die Wilde Jagd.
Flamel drehte den Kopf und folgte seinem Blick. »Ja«, stimmte er zu. »Aber auch nicht wirklich wegen euch , nicht wegen Sophie und Josh Newman. Es passiert wegen dem, was ihr seid und was aus euch werden kann. Das hier ist nur eine weitere Schlacht in einem Krieg, der schon seit Jahrtausenden tobt.«
»Mit gewonnenen Schlachten gewinnt man Kriege«, sagte Josh. »Mein Vater hat mir einmal geraten, immer nur an einer Front zu kämpfen. Und im Augenblick kämpfen wir an dieser hier.«
»Vielleicht solltest du deine Schwester nach ihrer Meinung fragen«, konterte Flamel.
»Das ist nicht nötig«, sagte Sophie leise. Sie hatte die Auseinandersetzung mitbekommen und sich hinter ihren Bruder gestellt.
»Dann bist du in diesem Punkt einer Meinung mit ihm?«, fragte Flamel.
»Die zwei, die eins sind«, erwiderte Sophie und beobachtete Flamels Gesicht. »Das sind wir doch, oder?«
Josh konzentrierte sich auf den Angriff. Die Gabriel-Hunde hatten ihre Speere geworfen und mit ihren Armbrüsten die letzten Bolzen abgefeuert. Durch den schmalen Korridor wirbelte inzwischen eine dicke Staubwolke. Undeutlich waren Gestalten darin zu erkennen, doch bis jetzt war noch keiner der Feinde aus der engen Gasse herausgekommen. Palamedes und Shakespeare waren von den Zinnen herabgestiegen und ließen die Hunde am Ende der Gasse Aufstellung nehmen. Aus einem Impuls heraus blickte Josh nach oben. Die Mauern waren ungeschützt, und es wunderte ihn nicht, als er den ersten Wolfskopf über den Zinnen auftauchen sah.
Flamel hatte sich Sophie zugewandt. »Wenn einem von euch jetzt etwas passiert«, sagte er verzweifelt, »war alles, was wir getan und erreicht haben, umsonst. Du besitzt die Erinnerungen der Hexe, Sophie. Du weißt, was die Dunklen Älteren der Menschheit in der Vergangenheit angetan haben. Und wenn sie dich und deinen Bruder in ihre Gewalt bekommen und ihnen dann auch die letzten beiden Seiten des Codex gehören, werden sie genau das und Schlimmeres – viel Schlimmeres – mit unserer Welt von heute machen.«
Flamels Worte weckten entsetzliche Erinnerungen in Sophie und sie blinzelte Bilder weg von einer zerstörten, überfluteten Erde. Sie holte tief Luft und nickte. »Aber bevor sie irgendetwas tun
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