Nicholas Flamel Bd. 3 Die mächtige Zauberin
körperlich zu verändern und von einem jungen Mädchen zur alten Frau zu werden. Andere veränderten sich mit dem Mondzyklus oder den Jahreszeiten und wieder andere Göttinnen stellten einfach verschiedene Aspekte ein und derselben Person dar. Aber wenn sie sich richtig erinnerte, waren die Macha, die Badb und die Morrigan drei unterschiedliche Wesen mit jeweils eigener Persönlichkeit gewesen … alle drei wild und mörderisch.
»Als Nicholas und ich im neunzehnten Jahrhundert in Irland waren, hat mir eine alte weise Frau einmal erzählt, die Morrigan hätte euch beide irgendwie umgebracht.«
»Nicht ganz.« Beide Augen wurden rot und das Wesen sprach mit nur einer Stimme. »Wir waren nie drei; wir waren immer eine.«
Perenelles Miene verriet nichts. Sie bemühte sich um Neutralität. »Ein Körper, drei Persönlichkeiten?«, fragte sie. Dann nickte sie. »Deshalb hat man die drei Schwestern nie zusammen gesehen.«
»Zu unterschiedlichen Zeiten, die sich nach den Mondphasen richteten, konnten wir abwechselnd über diesen Körper bestimmen.«
Die Augen blinkten gelb, die Stimme veränderte sich, und auch die Schädelknochen verschoben sich, sodass ein etwas anderes Gesicht entstand. »Und es gab bestimmte Zeiten im Jahr, zu denen die eine oder andere von uns herrschte. Die Tage um die Wintersonnenwende waren immer meine Zeit.«
Das linke Auge wurde wieder rot, und das Wesen fuhr mit zwei Stimmen fort: »Aber für gewöhnlich hatte unsere jüngere Schwester, die Morrigan, die Kontrolle über diesen Körper.« Das Wesen begann, so stark zu husten, dass das Netz bebte, und eine zähe schwarze Flüssigkeit erschien auf seinen Lippen. Das rote und das gelbe Auge blickten zu der Aufstellung der Speere hinter Perenelle. »Zauberin, löse den Fesselzauber … Die Symbole vergiften uns, sie bringen uns um.«
Perenelle blickte über die Schulter. Die zwölf hölzernen Speere, die vor dem Zelleneingang auf dem Korridor verteilt waren, bildeten ein zusammenhängendes Muster aus Dreiecken und Quadraten. Aus dem Augenwinkel sah sie nur mehr die Andeutung eines schwarzen Lichtstrahls. Er zuckte zwischen den Speerspitzen aus Metall hin und her, auf die sie mit Schlamm die uralten Kraftworte geschrieben hatte.
»Zauberin, bitte, löse den Zauber«, flüsterte die Krähengöttin. »Unsere Schwester, die Morrigan, kennt dich … und respektiert dich. Sie weiß, dass du stark und mächtig bist. Aber nie grausam.«
Perenelle trat auf den Korridor und zog einen der Speere aus der Erde. Das Muster war nicht mehr vollständig. Sofort hörte das Sirren, das sie im Unterbewusstsein wahrgenommen hatte, auf, und die bitter nach Metall schmeckende Luft nahm die normalen Gerüche des unterirdischen Tunnels an: Salz und fauliger Schlamm. Verwesender Fisch und Tang. Die Zauberin hielt den Speer fest in beiden Händen und wandte sich wieder der Zelle zu. »Das war hoffentlich kein Trick«, warnte sie. Als sie den Speer näher an die Krähengöttin heranbrachte, begann dessen Spitze zu leuchten. Dann entzündete er sich und brannte in einem kalten schwarzweißen Licht. Perenelle berührte den kleinen Berg Federn unter dem Spinnennetz mit der Speerspitze und sie brutzelten, rauchten, rollten sich ein und verkohlten. Der Gestank trieb Perenelle die Tränen in die Augen und sie wich auf den Korridor zurück. Die Augen der Göttin blinzelten im aufsteigenden Rauch. »Kein Trick …«
Dann ging ein Beben durch den im Netz gefangenen Körper, die Farben flossen aus den Augen, die nun wieder schwarz und leer waren. »Sie lügen!«, kreischte die Morrigan. »Hör nicht auf sie!«
Perenelle hob den Speer, sodass das glühende Metall fast auf einer Höhe mit dem Gesicht der Krähengöttin war. Das schwarzweiße Licht fiel auf die grünlich verfärbte Haut. Die Göttin kniff die Augen zu und versuchte vergeblich, den Kopf wegzudrehen. Als die Augen sich wieder öffneten, waren das Gelb der Badb und das Rot der Macha wieder darin. Je nachdem, welche Schwester sprach, blitzte die entsprechende Farbe auf.
»Die Morrigan hat uns hereingelegt«, sagte die Badb.
»Sie hat uns gefangen gesetzt, verzaubert, verflucht …«, fügte die Macha hinzu.
»Mit einem ganz gemeinen Totenbeschwörungszauber, den sie von Dees Vorgänger gelernt hat, hat sie unseren Geist gefesselt, uns versklavt und uns dann unserer Kräfte beraubt …«
»Jahrhundertelang leben wir schon unter dem Fluch«, sagte die rotäugige Macha. »Wir konnten sehen und hören, was unsere
Weitere Kostenlose Bücher