Nicholas Flamel Bd. 4 Der unheimliche Geisterrufer
tief Luft und konzentrierte sich auf die vier Schwerter, die Dee in einem Quadrat auf dem Boden angeordnet hatte. Ein schwaches Leuchten ging von ihnen aus. Sie dampften und roter und weißer, grüner und brauner Rauch stieg auf.
»Coatlicue …«
»Du brauchst sie nur zu rufen«, hatte Dee gesagt. »In allen Namen liegt eine Magie, eine Kraft. Sie wird dich hören und kommen. Die ganz spezielle Lage der Schwerter und deine mächtige Aura werden sie anlocken.«
»Und sie bringt mir das Totenbeschwören bei?«, hatte Josh gefragt.
»Ja«, hatte Dee geantwortet und für den Bruchteil einer Sekunde hatte Josh geglaubt, er hörte Nicholas und Perenelle Flamel »Nein!« rufen. Dann wurde ihm klar, dass sie, wären sie hier, wahrscheinlich genau das tun würden. Falls er Nekromantie erlernen könnte, wäre er in der Lage, die Wahrheit über die Flamels und die Älteren und noch viel, viel mehr herauszufinden. Er könnte mit allen großen Männern und Frauen der Geschichte reden, ihnen Fragen stellen, ihre Geheimnisse aufdecken und erfahren, wo sie ihr Schätze verborgen hatten. Er könnte mit einem einzigen Knochen Dinosaurier auferstehen lassen, ja, er könnte sogar primitive Menschen wieder zum Leben erwecken, sodass seine Eltern sie aus erster Hand studieren könnten. Und irgendwo in seinem Hinterkopf tauchte die Frage auf, weshalb Dee, falls er tatsächlich ein Totenbeschwörer war, seine Fähigkeiten nicht schon längst für diese Zwecke eingesetzt hatte. Wozu hatte der Magier sein Wissen um die Kunst des Geisterrufens verwendet?
»Coatlicue …« Josh konzentrierte sich wieder auf die Schwerter. Clarent bildete die untere Seite des Quadrats. Seine Spitze zeigte nach links. Durendal lag auf der linken Seite und seine Spitze zeigte nach oben. Excalibur war oben mit der Spitze nach rechts, zu Joyeuse hin, dessen Spitze nach unten zeigte. Von den Steinschwertern stiegen Flammen auf, und die verschiedenen Farben hatten begonnen, sich in der Mitte des Quadrats zu verflechten.
Sie schlief.
Und ihr Schlaf dauerte Ewigkeiten.
Sie träumte.
Und ihre Träume dauerten Jahrhunderte.
Aber die Albträume dauerten Jahrtausende.
Und an diesem Ort ohne Licht, ohne Geräusch,
ohne Empfindung wusste sie nicht,
ob sie wachte oder schlief. Sie existierte nur.
Rot. Ein Lichtpünktchen.
Aber in diesem elenden Gefängnis gab es kein Licht.
Noch ein Pünktchen. Weiß. Winzig, weit entfernt.
Die Älteren hatten sie in völlige Dunkelheit verbannt.
Nie hatte sie Licht gesehen. Bis jetzt.
Ein drittes Pünktchen. Braun.
Und dann ein viertes Licht und es leuchtete grün.
Sie wandte sich dem Licht zu.
Der Rauch, der von den Schwertern aufstieg, kam in Bewegung. Es war, als fegte ein Wind hindurch.
Virginias Fingernägel bohrten sich in Dees Arm. »Es tut sich was.«
»Wenn sie kommt, müssen wir schnell sein«, sagte der Magier. »Sobald sie in dem Quadrat erscheint, stoßen wir den Jungen zu ihr hinein. Solange das Quadrat geschlossen bleibt, ist sie darin gefangen.«
»Und wenn es aufbricht?«, fragte Virginia.
»Das wäre nicht gut«, antwortete er.
»Ist sie nicht hässlich?«
»In der Sprache der Nahuatl nennt man sie ›Die mit dem Schlangenrock‹.«
»Nett«, bemerkte Virginia. »Wie wird er darauf reagieren? «
»Als ich ihn vorhin berührt habe, habe ich ihn mit einem einfachen Zauber belegt. Er wird nur eine schöne junge Frau sehen. Ich weiß nicht, wie lange der Zauber hält, aber selbst wenn er trotzdem zögert, möchte ich, dass du ihn zu ihr hineinstößt. Sobald sie etwas zu essen hat, können wir mit ihr verhandeln.«
»Und wenn sie sich weigert?«, fragte Virginia leise.
»Dann lullst du sie mit deiner Flöte ein und wir schicken sie zurück in ihr Gefängnis«, erwiderte Dee seelenruhig.
»Du hast an alles gedacht, Doktor, nicht wahr?«, fragte Virginia sarkastisch.
»Ja.«
Vage, Furcht einflößende Gedanken ballten sich in Joshs Kopf zusammen. Bilder von einem Ungeheuer mit Schlangenkopf, das einen Rock aus zuckenden Schlangen trug und eine Armee von Monstern über ein schlammiges Schlachtfeld führte.
Und ihr gegenüber ein Mann in einem Kapuzenumhang, der anstelle seiner linken Hand einen Haken hatte. Und neben ihm eine Kriegerin mit heller Haut und rotem Haar.
»Coat – «, begann er, doch dann versagte ihm die Stimme.
Dee kam aus dem Hintergrund. »Alles in Ordnung, Josh?«
»Ich … Ich weiß nicht.« Er presste die Hand auf die Stirn. »Ich habe plötzlich schreckliche
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