Nicholas Flamel Bd. 4 Der unheimliche Geisterrufer
nur aufschließen können«, sagte Aoife mit einem Blick auf die rauchenden Reste aus Metall und Glas, »oder das Schloss schmelzen.«
Sophie wedelte mit den Händen, um sie zu kühlen. »Manchmal vergesse ich, welche Kräfte ich habe.«
Niten ließ sein schwarzes Jackett über die Schultern auf den Boden gleiten und schnallte sich zwei Schwerter – ein Katana und das kürzere Wakizashi – so um, dass sie an seiner linken Hüfte hingen.
Aoife rückte zwei identische Kurzschwerter auf ihrem Rücken zurecht. Von jeder Hand baumelte ihr ein Nunchaku. Das Messer mit der breiten Klinge hatte sie sich ans Bein geschnallt.
Und Sophie rollte die schwarze Lederpeitsche mit dem silbernen Griff auf, die Perenelle ihr vor dem Verlassen von Prometheus’ Schattenreich gegeben hatte. »Die wurde aus Schlangen geflochten, die aus Medusas Haar stammen«, hatte die Zauberin erklärt. »Sie fährt durch Stein und schneidet Metall. Geh vorsichtig damit um.«
Zwei Wachmänner stürmten, alarmiert von dem Lärm, ins Foyer und blieben abrupt stehen, als sie die kaputte Tür und ihren Kollegen sahen, der zusammengekrümmt auf dem Boden lag. Einer wollte nach seiner Waffe greifen, der andere nach seinem Funkgerät … Und im nächsten Augenblick lagen auch sie bewusstlos am Boden. Aoife rieb sich die Hände, nachdem sie ihre Nunchakus wieder in ihren Gürtel gesteckt hatte. »Das könnte ganz lustig werden.«
Funken sprühten, als Niten in dem kleinen Büro hinter dem Empfangstresen mit seinem Katana den Computerserver zerlegte und die Kabel durchtrennte. »Telefon und Internet sind tot«, verkündete er.
Aoife lachte vergnügt. »Gut. Dann haben wir jetzt ein paar Minuten Zeit, bevor jemand merkt, dass die Tür fehlt, und die Polizei ruft. Dann lass uns mal deinen Bruder suchen.«
»Falls er noch hier ist«, gab Niten leise zu bedenken.
»Oh, er ist da«, versicherte Sophie. Sie drückte eine Hand auf ihren Bauch. »Ich spüre ihn. Er ist …« Sie wies mit dem Finger zur Decke. »Oben.«
Der Rauch, der von den Kraftschwertern aufstieg, hatte angefangen zu stinken und hing jetzt als dunkler Smog in der Luft.
»Coatlicue kommt«, sagte Dee leise und stellte sich hinter Josh. »Konzentriere dich. Sei stark. Du wurdest erweckt. Du beherrschst die Magie des Wassers und die Magie des Feuers. Doch diese Zweige der Magie sind nicht unbedingt immer praktisch. Bald wirst du zu den wenigen gehören, die die dunkle Kunst des Totenbeschwörens beherrschen – dann wird es nichts Unerreichbares mehr für dich geben. Du wirst Wundersames erfahren. So wie ich.«
Die schmutzige Rauchsäule hatte fast die Decke erreicht. Sie hatte die Farbe von Schlamm, der mit rostroten Streifen durchsetzt war. Ein ranziger Geruch breitete sich im Zimmer aus: der unverwechselbare Gestank von Schlangen.
»Coatlicue …«
Josh versuchte sich zu konzentrieren, doch von dem Schlangengeruch wurde ihm übel. Außerdem hatte er wieder die Bilder der schlangenköpfigen Kreatur vor Augen. Er war sich nicht sicher, woher diese Bilder kamen: von den Flamels vielleicht? Versuchten sie ihn abzulenken? Sie wussten um seine panische Angst vor Schlagen. Dee hatte ihm gesagt, dass Nicholas und Perenelle seine Migräne verursacht und wahrscheinlich auch versucht hätten, seine Gedanken zu beeinflussen. Der Doktor hatte zu seinem Schutz einen Fesselzauber, wie er es nannte, gewirkt, und im selben Moment waren die entsetzlichen Kopfschmerzen und die Übelkeit wie weggeblasen gewesen. Also hatte er offenbar recht gehabt mit seiner Vermutung, die Flamels würden Josh attackieren. Josh verstand nur nicht, warum . Er konnte sich nur einen Grund dafür vorstellen: Sie wollten verhindern, dass er ein Geisterrufer wurde. Und er vermutete, dass sie Angst hatten vor dem, was er herausfinden könnte – über sie, über das Ältere Geschlecht.
Licht.
Und Wärme.
Und Fleisch.
Der köstliche Duft von Leben.
Das Prickeln einer mächtigen Aura.
Die nach ihr rief. Und rief. Und rief.
Coatlicue rannte und fiel, kroch auf allen vieren
und ging aufrecht auf Gliedmaßen,
die seit Jahrtausenden nicht mehr benutzt
worden waren – dem Licht, der Freiheit entgegen.
»Coatlicue!« Josh keuchte heiser.
Der Rauch, der von den Waffen aufstieg, die vor ihm auf dem Boden lagen, hatte sich zu einer braunen Wand verdichtet. Er glaubte zu sehen, wie sich dahinter etwas bewegte.
In Gedanken malte er sich immer noch aus, was er mit der Magie des Totenbeschwörens alles anfangen würde …
Weitere Kostenlose Bücher