Nicholas Flamel Bd. 4 Der unheimliche Geisterrufer
Zwischen diesen Antiquitäten standen Stücke, die offensichtlich ägyptischer Herkunft waren, von denen einige aber eine erstaunliche Ähnlichkeit zu ihren Gegenstücken aus der Maya-Kultur aufwiesen.
Der Ältere ließ seine Finger über ein Aztekenschwert gleiten – massive Jade mit eingelassenem schwarzem Vulkanglas. »Ich ging nach Westen ins Land von Dschungel und Berg, während Aten, dein Gebieter, weiter nach Osten fuhr zu den Ländern des Mittleren Meeres.« Kukulkan nahm einen winzigen geschnitzten Skarabäus auf und betrachtete ihn eingehend, bevor er ihn aufs Regal zurücklegte. »Wir haben die Humani unterrichtet, sie dazu gebracht, eine zivilisierte Kultur zu entwickeln. Mit der Zeit ergab es sich, dass die Humani uns verehrten, wenn auch auf unterschiedliche Art und Weise. Ich war nie glücklicher.« Etwas musste sich in Machiavellis normalerweise ausdrucksloser Mimik verändert haben, denn der Ältere lächelte. »Es überrascht dich, dass wir Glück empfinden können?«, fragte er.
Dee schüttelte verblüfft den Kopf. »Die Wesen des Älteren Geschlechts, mit denen ich es im Lauf der Jahrhunderte zu tun hatte, zeigten Wut, Groll und Eifersucht. Mir ist nie in den Sinn gekommen, dass sie auch zu anderen Emotionen fähig sein könnten«, gab er zu.
»Warum nicht?«
Machiavelli zuckte mit den Schultern. »Weil ihr nicht menschlich seid, nehme ich an.«
»Es gibt Gefühle, die allen Lebewesen gleichermaßen zu eigen sind – von den Wesen des Älteren Geschlechts über die Humani bis hin zu den Tieren«, erklärte Kukulkan. »Hast du nie einen Hund beobachtet, der seinen Herrn betrauert, oder eine Herde Elefanten, die ihren Toten die letzte Ehre erweist? Aber sicher hast du schon erlebt, welche Aufgeregtheit und Freude ein Hund an den Tag legt, wenn sein Herrchen zurückkommt. «
Machiavelli nickte.
»Es stimmt allerdings, dass die Älteren sich mit einigen Gefühlen, die eine positive Grundstimmung ausdrücken, schwer tun. Die Macht und Autorität, die wir jahrhundertelang innehatten, haben uns einen Großteil unserer Lebensfreude genommen. Wir hatten alles und wollten mehr. In jenen letzten Jahren, bevor die Insel sank, wurde nicht viel gelacht. Die Älteren waren grausam, sowohl ihren Dienern als auch ihresgleichen gegenüber. Wir bekämpften uns, weil wir die Möglichkeiten dazu hatten. Wir brachen Kriege vom Zaun, einzig und allein aus Langeweile.« Kukulkan warf Machiavelli einen raschen Blick zu. »Ich habe so viel Schuld auf mich geladen wie alle anderen. Die Veränderung kam durch Aten. Er war der erbittertste und mutigste Kämpfer, den ich je getroffen habe, und gleichzeitig der sanfteste und freundlichste.« Er sah die überraschte Miene des Italieners. »Er ist dein Gebieter und du hast das nicht gewusst?«
»Ich bin ihm nur zwei Mal begegnet«, antwortete Machiavelli, »und beide Male nur kurz. Bei der zweiten Begegnung hat er mir die Unsterblichkeit verliehen. Danach haben wir im Lauf der Jahrhunderte zwar oft miteinander gesprochen, doch begegnet sind wir uns nie mehr.« Er lächelte. »Und auch wenn ich glaube, dass ich ihm viele Eigenschaften zuschreiben könnte, würde ich ihn nie als sanft und freundlich beschreiben. Er hat in Ägypten mit einem Streich eine ganze Lebensform komplett ausgelöscht. Er war so verhasst, dass sein Name fast vollständig aus den historischen Aufzeichnungen verschwunden ist.«
Kukulkan wedelte geringschätzig mit der Hand. »Ich war dabei. Er tat – wir taten –, was getan werden musste. Wir haben Ägypten zu wahrer Größe verholfen.« Der Ältere ging zu seinem steinernen Hocker zurück und setzte sich Machiavelli schweigend gegenüber. Da saß er nun reglos, nur die Federn an seinem Schwanz bewegten sich sacht in der warmen Brise, die durch die offene Tür hereinkam.
Machiavelli lehnte sich wieder auf seinem Thronsessel zurück und wartete. Er hatte unendlich viel Geduld – darin sah er eine seiner größten Stärken – und wusste deshalb, dass er Kukulkan aussitzen konnte. Vorschnelle Worte und vorschnelle Handlungen hatten schon manchen Plan zunichte gemacht. Er wusste nicht, ob er dem Älteren hundertprozentig glauben konnte. Machiavelli hatte seine eigenen Nachforschungen angestellt. Als Aten, sein Gebieter – auch bekannt als Akhenaten – in Ägypten herrschte, hatte er sich so tyrannisch gebärdet, dass spätere Generationen von ihm nur als dem »Feind« sprachen. Machiavelli wusste auch, dass Akhenatens Sohn Tutanchamun eine der
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