Nicholas Flamel Bd. 5 Der schwarze Hexenmeister
eine Insel unter einem wolkenlos blauen Himmel. Endlose, goldene Weizenfelder, die sich in der Ferne verlieren. Bäume, die sich unter der Last ihrer exotischen Früchte biegen …
… Sanddünen in einer riesigen Wüste, auf denen plötzlich saftig grünes Gras wächst …
… ein Krankenhausflur mit einer langen Reihe leerer Zimmer …
Josh nickte, fasziniert von dem, was er sah. »Ein Paradies.«
»Ein Paradies«, bestätigte Dee. »Aber der Italiener und der Gesetzlose wollen das nicht. Sie wollen, dass die Welt so bleibt, wie sie ist: schmutzig und kaputt, damit sie im Dunkeln weiter schalten und walten können.«
»Hör nicht auf ihn, Josh«, sagte Billy mit fester Stimme. »Hier spricht Dee, der König der Lügner. Das weißt du doch.«
»Flamel hat dich auch angelogen«, warf Dee rasch ein. »Und vergiss nicht, was er und seine Frau deiner Schwester angetan haben.«
»Sie haben Sophie dazu gebracht, dass sie sich von dir abgewendet hat«, flüsterte Virginia. Sie legte die Fingerspitzen auf Joshs Handrücken, eine Geste, die Mitgefühl ausdrücken sollte. »Und von mir kannst du etwas lernen, das weder Machiavelli noch Billy dir beibringen können.« Sie senkte die Stimme und beugte sich noch näher zu ihm, sodass nur er sie hören konnte. »Ich werde dich in Luftmagie ausbilden. Der Zweig der Magie mit dem größten Nutzen«, fügte sie hinzu.
Luftmagie . Bei dem Wort war er aufmerksam geworden. »Sophie kennt sich mit Luft-, Feuer- und Wassermagie aus. Ich nur in Wasser und Feuer.« Josh war sich plötzlich bewusst, wie nah Virginia Dare neben ihm stand und mit welcher Kraft Clarents Wärme durch seinen Körper pulsierte. Er schwitzte, doch der Wind, der von der Bucht herüberwehte, kühlte den Schweiß auf seiner Haut rasch ab, sodass er gleichzeitig fröstelte.
»Luftmagie«, wiederholte Virginia. »Damit wärst du deiner Schwester ebenbürtig.« Dann beugte sie sich noch weiter vor. »Und vielleicht wirst du eines Tages sogar mächtiger sein als sie.«
Josh drehte sich zu Dee um. »Ich stehe auf eurer Seite.«
Dee grinste. »Du hast die richtige Entscheidung getroffen, Josh.«
»Du hast den größten Fehler deines Lebens begangen«, sagte Machiavelli leise.
Josh stellte fest, dass er ihm und auch Billy nicht mehr in die Augen schauen konnte.
Aus heiterem Himmel stürzte Billy sich auf Dee, und Machiavelli ging Virginia an, doch die Unsterbliche hatte bereits ihre Flöte an den Lippen. »Zu langsam«, hauchte sie in das Instrument. Die Worte wurden zu Tönen und Machiavelli und Billy the Kid stürzten bewusstlos zu Boden.
Virginia rollte Machiavelli mit dem Fuß auf den Rücken, bückte sich und zog einen Umschlag aus der Innentasche seines Jacketts. Sie warf ihn Josh zu, der ihn an Dee weiterreichte. »Die Anweisungen zum Wecken der Monster«, erklärte Virginia.
Der Magier klopfte Josh auf die Schulter. »Gut gemacht. Und jetzt wollen wir die zwei hier in Zellen schaffen, bevor sie aufwachen.«
»Vergisst du nicht etwas?«, fragte Virginia, wobei sie mit dem Kinn auf den Lotan wies.
Dee lächelte. Seine Augen zuckten irre. Er schaute die Kreatur an und wedelte dann mit beiden Händen vor ihren Köpfen herum. »Auf geht’s. Husch, husch.« Er zeigte auf die Stadt, die keine Meile entfernt lag. »Geh und hol dir was zu essen.«
Der Lotan drehte sich um, watschelte über die Felsen und platschte ins Wasser. Einen Augenblick schwammen die sieben Köpfe auf dem Wasser, dann tauchten sie ab und eine gekräuselte Bugwelle schob sich auf die Stadt zu.
»Ich wüsste zu gern, was die Touristen auf dem Embarcadero davon halten«, meinte Virginia.
»Oh, ich kann mir vorstellen, dass wir ihre Schreie bis hierher hören.« Der Magier ließ den Umschlag ungeduldig gegen sein Bein klatschen. »Kommt, lasst uns ein paar ausgehungerte Kreaturen wecken.« Er warf einen Blick auf Machiavelli und Billy, die immer noch bewusstlos und mit etlichen Hautabschürfungen auf dem Boden lagen. »Hm, vielleicht hätten sie vorab gerne einen kleinen Appetithappen.« Er wandte sich an Josh, der die Spur des Lotan auf seinem Weg nach San Francisco verfolgte. »Du hast die richtige Entscheidung getroffen, Josh«, wiederholte er.
Josh nickte. Er hoffte es. Er hoffte es wirklich. Er blickte zu Virginia hinüber und sie lächelte ihn an. Sofort war ihm leichter ums Herz. Auch wenn er Dee nicht vollkommen vertraute, so vertraute er doch Virginia Dare.
KAPITEL VIERUNDVIERZIG
S ophie hob den Blick von der Smaragdtafel.
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