Nicht den Ängsten folgen, den Mut wählen: Denkstationen eines Bürgers (German Edition)
Überlebensordnung geeinigt.
Die als universell, unveräußerlich und unteilbar angesehenen Menschenrechte sind daher ein gemeinsames Gut der Menschheit. Und wir dürfen und müssen gegenüber kommunistischen, fanatisch-islamistischen oder despotischen Staaten über ihre Verletzung sprechen; denn als Menschen sind wir verpflichtet, die Menschenrechte unserer Mitmenschen zu respektieren und zu verteidigen. Und als Deutsche, die diese Werte erst missachtet und dann in einem Teil des Landes verloren haben, sind wir Zeugen, wie aus der Trauer über Schuld und Verlust Freude über das Gelingen entstehen kann.
Kann – sage ich. Denn wo erleben wir eine gelassene Freude darüber, dass Selbstbestimmung in unserem politischen Raum möglich ist? Warum ist im Diskurs der unterschiedlichen Kulturen die Freude des Westens an einer bewahrenden und schützenden Freiheit kaum spürbar? Warum gehen wir oft in die nichtdemokratische Welt hinaus und tun so, als hätte unsere demokratische Welt »Nichtwerte«, fühlen uns stattdessen betroffen von dem, was die Potentaten dort über uns behaupten: Wir seien Imperialisten, wir wollten ihnen unsere westlichen Werte überstülpen? In der Tradition unserer antikapitalistischen Selbstgeißelung kann es tatsächlich so weit kommen, dass nicht wenige sagen: »Wir wollen ja nicht andere überfremden.«
Wem dienen wir eigentlich mit diesem Defätismus? Sind wir zu vornehm und zu satt geworden, um für die Werte zu streiten, die für den Westen Deutschlands seit sechzig Jahren selbstverständlich geworden sind? Trifft auch hier zu, dass wir nicht achten, was wir fest zu besitzen glauben?
Gerade bei meinen evangelischen Brüdern und Schwestern und einigen Grünen und sozialdemokratischen Christen sind Güte und Großmut teilweise so unendlich groß, dass sie fortwährend alle Schuld der Welt einräumen, anstatt zu sagen: In diesem unserem Land herrscht seit über sechzig Jahren Frieden, im Westen unseres Landes werden seit über sechzig Jahren die Bürger- und die Menschenrechte respektiert. Europa ist der Kontinent, nach dem sich die Menschen in anderen Teilen der Welt sehnen, zu dem sie fliehen wollen und den sie nur selten erreichen. Kann nur ein polnischer Ministerpräsident wie Donald Tusk, der die Unfreiheit des Sozialismus erlebt hat, formulieren, was unser aller Grundeinstellung zu Europa sein sollte: »Es ist tatsächlich der beste Ort der Welt, etwas Besseres hat bisher niemand erdacht.«
Warum lernen wir nicht von Václav Havel und den anderen, die uns beibringen könnten, dass die Unterdrückten der Welt die universelle Sprache der Menschenrechte verstehen? Dort in den Ländern mit den grünen, mit den roten oder anderen Bannern verstehen die Unterdrückten sofort und ohne Umwege, was Menschen- und Bürgerrechte für sie bedeuten würden. Nur ihre Unterdrücker, ihre Herrscher und fundamentalistische Gruppen, die die Menschen in Abhängigkeit zu halten trachten, behaupten, das sei eine art- oder wesensfremde oder wie auch immer fremde Kultur.
Ja, es gibt auch Mängel in unserer Demokratie, die gebe ich zu. Wir wissen, dass dieses System nicht vollkommen ist. Aber es ist ein lernfähiges System, das Vorbildcharakter hat. Der Osten Europas, Teile Asiens und Nordafrika – sie alle haben nicht ein neues System von Menschenrechten ausgedacht, vielmehr das übernommen, was in der westlichen Welt schon existierte. Sogar die Ostdeutschen und die linken Protestanten sind darauf gekommen, dass wir keinen neuen, dritten Weg ersinnen konnten. Auch wenn wir Ostdeutschen uns gerne eine eigene Verfassung gegeben hätten, so haben wir im Prinzip auf die Werte und Inhalte des Grundgesetzes geschworen.
Darin zeigt sich: Wenn wir Freiheit gestalten wollen, gibt es nicht allzu viele Varianten. Ich jedenfalls kenne keine, die dieser westlichen Variante von Eigenverantwortung vorzuziehen wäre.
Es gab zwar Gegenentwürfe, in Europa etwa erwachsen aus dem Marxismus, der die Einzelnen im Kollektiv verschwinden ließ. Aber diese Entwürfe haben sich nicht behauptet. Wir haben bei diesen Entwürfen weniger Freiheit, weniger Lebensfreude, weniger Rechtssicherheit und weniger Wohlstand erlebt. Und deshalb gibt es keinen Grund für den alt-neuen Versuch, eine neue Variante von Antikapitalismus in die politische Debatte zu bringen.
Freilich möchte ich gerne, dass wir den kapitalistischen Wirtschaftssystemen so kritisch gegenübertreten wie den verschiedenen politischen Richtungen. Es soll und muss
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