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Nicht den Ängsten folgen, den Mut wählen: Denkstationen eines Bürgers (German Edition)

Nicht den Ängsten folgen, den Mut wählen: Denkstationen eines Bürgers (German Edition)

Titel: Nicht den Ängsten folgen, den Mut wählen: Denkstationen eines Bürgers (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joachim Gauck
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Muslimen oder anderen Gläubigen gelebt werden können. Für mich ist die religiöse Wertsetzung so stark, weil sie in Tiefen meiner Seele reicht, in der die intellektuellen Begründungen für Wohlverhalten und Menschlichkeit nicht gegründet sind. Andere Menschen erleben Bezogenheit auf andere Weise, in anderen Worten und mit anderen Lebenswahrheiten.
    Das Glück der Bezogenheit spüren und verstehen kann selbstverständlich auch, wer nicht glaubt. Jede und jeder erlebt das auf eigene Weise. Nicht jeder erfährt die elementare Kraft einer frühen oder späten Liebe, nicht jede hat so ein kleines Wesen als eigenes Kind. Andere beziehen sich auf eine Idee, auf die Natur, die sie schützen und bewahren wollen. Auf die Rechtsstaatlichkeit, damit die Welt nicht dem Gesetz des Stärkeren unterliegt. Auf die Wahrheit, die nicht Vorteilen und Interessen geopfert werden darf.
    Unsere Fähigkeit zur Verantwortung ist somit nicht etwas, das durch Philosophen, Politiker oder Geistliche quasi von außen in unser Leben hineingebracht würde, sie gehört vielmehr zum Grundbestand des Humanum. Wir verlieren uns selbst, wenn wir diesem Prinzip nicht zu folgen vermögen.
    Freilich erleben wir Bezogenheit nicht alle gemeinsam und nicht gleichzeitig, sie widerfährt uns auch nicht wie ein Erweckungserlebnis, das unsere ganze Existenz ummünzt. Aber Schritt für Schritt können wir hineingezogen werden in diese Lebensform von Ermächtigung – ich habe selbst erlebt, wie sich ein Staatsinsasse verwandelt hat und durch ermächtigendes Handeln als Bürger zu existieren begann. Wir waren nicht nur zu uns selbst gekommen, wir haben auch Glück empfunden.
    Enttäuschung und Frustration werden allerdings alle erleben, die sich wie im Märchen danach sehnen, Glück in einem Schlaraffenland zu finden. Das klingt für manchen vielleicht verzopft, aber denken Sie nicht, dass dieses Märchen von gestern sei. Nur dass unser Schlaraffenland nicht ein großer Berg von süßem Brei ist. Zu essen haben wir mehr als genug. Wir haben auch genug zu trinken. Damit kann man uns nicht locken. Aber wir haben andere Fantasien und Bilder von Fülle und Erfülltheit in einem imaginären Schlaraffenland, das nur eben unglücklicherweise niemals dort ist, wo wir tatsächlich leben. Vielmehr leben wir mit der Hoffnung auf ein Glück, das uns das Schicksal irgendwann einmal gewähren müsse. Bei manchem ist es die Hoffnung auf den Märchenprinzen: Ja, wenn ich den Mann hätte, dann wollte ich doch zufrieden sein. Oder es ist die Hoffnung auf die Idealfrau: Ja, wenn ich diese Mischung aus Engel und Vollweib kriegen würde, dann wollte ich doch glücklich sein. So können wir das Schlaraffenland je nach unserer eigenen Fasson ausgestalten – und wir tun es. Privat und auch gesellschaftlich.
    Doch sobald wir gespannt darauf warten, wie im Lotto das große Los zu ziehen, werden wir auf einem Weg sein, wo das Glück ganz bestimmt nicht zu uns findet! Wir bleiben hungrig und ungesättigt. Denn geheimnisvollerweise ist das Glück dort, wo wir Bezogenheit leben – selbst in dem unspektakulären Tun des Alltags.
    Ich habe entdeckt, dass es einen unglaublich kraftvollen Indikator für dieses Ja zu einem Leben in Verantwortung gibt. Es ist nämlich so, dass unsere Psyche uns belohnt, wenn wir die Bezogenheit auf den anderen Menschen und die Hinwendung zu unserer Lebensform machen. Schauen Sie sich die Jugendlichen an, die in der Freiwilligen Feuerwehr lernen und üben, wie man einen Brand löscht oder eine hilflose Person rettet. Oder die Dorfjugend, die nach Feierabend Fußball trainiert. Oder die jungen Musikerinnen und Musiker aus ganz Deutschland, die im Bundesjugendorchester gemeinsam musizieren. Schauen Sie sich die Gesichter der Menschen an, wenn sie einen Brand gelöscht, ein Fußballspiel gewonnen oder eine Sonate gespielt haben – und Sie spüren, wovon ich rede.
    Dieses Erfüllt-Sein, dieses Glück ist der einfache Indikator, von dem ich sprach.
    In Bezogenheit zu stehen sagt allerdings noch nichts darüber aus, ob unser privates oder politisches Handeln einer guten oder bösen Sache dient, ob es sinnvoll, berechtigt, erfolgversprechend ist oder ob es auf falschen Voraussetzungen, falschen Analysen oder etwa auf privater oder politischer Naivität beruht. Ich nenne ein Beispiel, das für die evangelische Kirche und ihre Einrichtungen nicht ohne Bedeutung war und ist.
    »Entfeindet euch«, sagten meine Kirchentagsfreunde gerne in den interessanten

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