Nicht die Bohne!
plötzlich weiß ich mit absoluter Gewissheit: Er wird die Bohne lieben. So wie ich die Bohne lieben werde.
Wieder flüstere ich leise »Hallo« und berühre ganz vorsichtig die kleine Stirn meiner Tochter. Die Liebe ist noch nicht ganz angekommen, aber ich glaube eine Vorhut davon spüren zu können.
Sie ist so unfassbar klein und ganz zerknautscht. Nicht weiter verwunderlich, sie war ja vor zehn Minuten auch noch in meiner Gebärmutter und hat einen harten Weg hinter sich.
»Schatz, du bist ein Naturtalent!« Gertrude beugt sich zu mir und grinst. »Das war toll. Darf ich die Kleine mal kurz mitnehmen, um sie zu untersuchen? Geht ganz schnell, danach bekommst du sie sofort wieder. Es ist nichts gerissen bei dir, alles ist gut.« Dann nimmt sie mir mit einer geschickten Bewegung die Bohne vom Bauch. Simon begleitet die beiden wie selbstverständlich, und Jutta kommt an meine Seite. »Ich bin stolz auf dich«, murmelt sie und küsst mich. Andrea drückt ihr Gesicht von der anderen Seite gegen meine Wange und weint weiter. Zeit scheint innerhalb dieses Kreißsaals keine Rolle zu spielen, ich könnte nicht sagen, ob eine Minute oder drei Stunden vergangen sind.
Kurze Zeit später liegt die Bohne wieder auf meinem Bauch. »Alles ist gut«, wiederholt Gertrude. »Sie ist zwar ein wenig zu früh, aber mit stolzen dreitausendfünfhundert Gramm Gewicht und neunundvierzig Zentimetern Länge ausgestattet. Sie war einfach fertig gebrütet und wollte raus.«
Gertrude schnappt sich einen Lappen und beginnt »sauber zu machen«, wie sie es ganz pragmatisch nennt. Gibt eine Menge sauber zu machen, beobachte ich aus dem Augenwinkel, aber es interessiert mich nicht weiter. Simon bleibt bei mir. Er setzt sich in altbekannter Manier auf einen Hocker neben dem Bett und guckt mir konsequent in die Augen.
»Ich hab auch vorhin nicht geguckt«, murmelt er und grinst mich vorsichtig an. Im Moment ist mir das zwar scheißegal, wer wann wohin geguckt hat, aber tief in meinem Innersten weiß ich, dass es mir ab morgen vielleicht nicht mehr so egal sein wird. Deswegen bin ich prophylaktisch ein wenig erleichtert.
Die Bohne ist ganz warm auf meinem Bauch. Und still. Hin und wieder schaut sie mich an. Einäugig und ein klein wenig fassungslos. Was ich ihr nicht verdenken kann, mir geht es genauso.
Jutta kommt wieder – mir war gar nicht aufgefallen, dass sie überhaupt weg war. Sie berichtet von einer Menschentraube vor dem Kreißsaal. Alle da. Mutter, Vater, Bruder, Öko-Gang. Ich will, dass meine Mama kommt. Aber wenn sie rein darf, kann ich meinen Papa nicht vor der Tür stehen lassen. Und dann muss Tom auch mit, sonst ist er nachher noch traumatisiert, weil ich ihn ausschließe. Kompliziert, das Ganze. Bevor ich irgendwas entscheide, beschließe ich, ein wenig die Augen zuzumachen, wobei ich ganz vorsichtig die Bohne an meinen Bauch drücke. Plötzlich bin ich hundemüde.
»Willst du sie anlegen?«, fragt Gertrude mich im nächsten Moment, und ich öffne schläfrig die Augen. Anlegen? Hä?
»Jetzt ist der Saugreflex ganz stark«, sagt sie leise und sieht mich fragend an. Okay, schließlich ist Gertrude die mit der Ahnung. Vorsichtig manövriert sie den kleinen Menschen an meine linke Brust und stellt das Bett am Kopfteil ein wenig höher. Die Bohne schmatzt. Im nächsten Moment schließen sich ihre kleinen Lippen um meine linke Brustwarze, und ich schnappe nach Luft. Himmel hilf! Ich dachte, ich bin durch mit Schmerzen. Die Bohne saugt an, und ich stöhne auf. Verdammt, tut das weh! Oben links und unten mittig.
»Du gewöhnst dich dran.« Gertrude lächelt mir aufmunternd zu. »Diese Vormilch ist ganz wichtig für die Babys. Aber das Saugen veranlasst auch deine Gebärmutter, sich zusammenzuziehen. Das sind Nachwehen.«
Die Bohne trinkt und schläft dann ein. Ich möchte auch ganz dringend schlafen, aber erst mal kleidet Gertrude mich ganz fürsorglich neu ein, und mein Bett macht sie bei dieser Gelegenheit auch noch hübsch. Und auch die Bohne bekommt etwas zum Anziehen, zum Glück nicht in Rosa, sondern in neutralem Weiß.
Jetzt schlafen. Dringend, aber ich stelle fest, dass ich die Bohne nicht in das kleine Plastikbettchen legen kann. Es geht nicht. Sie ist doch gerade erst aus mir rausgekommen. Aber mit ihr auf dem Bauch kann ich irgendwie auch nicht schlafen. Nachher fällt sie noch runter. Großes Dilemma! Simon sorgt für Abhilfe, indem er mir seine Hände entgegenstreckt.
»Ich nehme sie«, sagt er, und seine Stimme
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