Nicht die Bohne!
Ich eile zu unserem üblichen Tisch direkt neben dem Tresen und begrüße alle mit einem herzlichen: »Hallo, allerseits!«
Für ein paar Sekunden herrscht Schweigen. Dann sprintet Luigi hinter seinem Tresen hervor und sinkt mit einem leisen, aber theatralischen Stöhnen auf die Knie.
»Äh!«, gebe ich verwirrt von mir.
Luigi greift meine Hand, haucht einen Kuss darauf und säuselt: »Du bisse sso eine ssöne swangere Frau!« Offenbar geht der Italiener in ihm gerade mit ihm durch. Mit einem strahlenden Grinsen im Gesicht kommt er wieder auf die Füße, greift nach meinem Wintermantel und verschwindet mit ihm in Richtung Garderobe.
Jutta legt einen Arm um den freien Stuhl neben sich und lächelt süffisant. »Musstest du erst schwanger werden, um festzustellen, dass Rot dir steht?«
»Es scheint so.« Ich hebe eine Augenbraue und lächle zurück. Unter Berücksichtigung meiner körperlichen Ausmaße lasse ich mich vorsichtig auf den freien Platz neben Jutta fallen und drücke dann Justine, die auf der anderen Seite sitzt, ein Küsschen auf die Wange.
Luigi kommt zurück und verkündet: »Vorspeise gehte auf Haus, die Damen!«
»Was wären wir nur ohne Luigi?«, ruft Jutta in die Runde.
»Testosteronfrei«, flüstert Mara, während Luigi mit einer eleganten Körperdrehung wieder verschwindet, vermutlich um die Zubereitung der Vorspeise höchstpersönlich zu überwachen.
Mara schiebt einen Stapel Blätter in meine Richtung und raunt mir mit strengem Blick zu: »Wir sind fast zu spät.«
»Zu spät für was?«, fragt Justine und nimmt einen tiefen Schluck Rotwein.
»Für diese elementaren und notwendigen Hechelkurse«, erklärt Mara. »Warum hast du nicht früher Bescheid gesagt?«, fügt sie vorwurfsvoll hinzu.
»Ich wusste nichts davon?«, gebe ich kleinlaut zurück.
»Du bist aber die Schwangere hier, du musst diese Dinge wissen. Ich habe davon keine Ahnung. Das ist sehr unangenehm, kann ich dir sagen. Überall, wo ich angerufen habe, wurde ich in Kenntnis gesetzt, dass ich, also du, mich schon vor Wochen darum hätte kümmern müssen.«
»Oh«, sage ich betroffen.
»Das ist ja ein Ding!«, sagt Justine.
»Braucht kein Mensch, diese Kurse«, bemerkt Jutta trocken. »Da erzählen sie dir, dass du Wehen wegatmen kannst und bei Verspannungen ein Duftlämpchen entzünden darfst. Alles Humbug. Wehe ist Wehe, da hilft kein Lavendel und keine Schnappatmung.«
Leicht entsetzt sehen wir sie an, bis Mara beschließt, diesen sachdienlichen Hinweis einfach zu ignorieren. »Für drei Schwangerschaftskurse bist du auf der Warteliste. Sind alles Kurse für Paare, ging nicht anders.« Mara deutet auf den Papierstapel.
»Ich bin aber kein Paar«, wende ich ein.
»Daran habe ich auch schon gedacht. Es dürfen auch alternative Partner mitgebracht werden. Also Patentanten und Omas und andere Bohnen-Interessierte. Da fällt es sicher nicht auf, wenn wir uns abwechseln. Das geht natürlich nur, wenn Jutta ihre negative Grundeinstellung diesen Kursen gegenüber ablegt. Ich möchte da nicht durch abwertende Kommentare unangenehm auffallen.«
Jutta lächelt charmant und sagt: »Schon passiert. Ich bin dabei. Aber wenn die Hebamme versucht, den Gebärenden eine Wehe vorzuspielen, muss ich kurz den Raum verlassen.«
Ich kämpfe mich derweil weiter durch den Stapel an Informationen vor mir. GSG -Mara hat mal wieder ganze Arbeit geleistet. Auftrag erhalten, Auftrag erledigt.
»Ich bin auch dabei. Auf die Bohne!«, sagt Justine und hebt ihr Rotweinglas, woraufhin wir auf das Projekt »Gemeinsame Geburtsvorbereitung« anstoßen. Meine Mädels mit bestem, altem und ölig im Glas rollendem Rotwein, ich mit Apelsap.
Kapitel 21
Am nächsten Tag bricht der Winter mit ganzer Macht erneut über uns herein. Es schneit und schneit und schneit, und die Welt versinkt in Weiß- und Grautönen. Die Straßen sind zum Teil spiegelglatt, und das erste Mal in meinem Leben habe ich tatsächlich Angst, das Haus zu verlassen. Bis dato fand ich solche wetterbedingten Ausnahmezustände immer ganz spannend, aber mit einer Bohne im Bauch hört der Spaß auf.
Ich habe Angst, dass ich auf den glatten Wegen fallen und der Bohne Schaden zufügen könnte. Ich habe Angst, dass mir irgendein Idiot in meinen Golf brettert. Ich habe sogar Angst, dass plötzlich irgendetwas mit der Bohne sein könnte und ich wegen des ganzen Schnees nicht ins Krankenhaus komme.
So viel Angst auf einmal bin ich nicht gewohnt, und schon drei Tage nach dem ersten Schneefall
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