Nicht die Bohne!
Beispiel mit dem Studium fertig war – und bevor ich anfing, mit Bratpfannen zu schmeißen –, habe ich sage und schreibe drei Wochen lang depressiv auf dem Sofa verbracht. Ich war so unfassbar traurig, dass diese Zeit vorüber war. Dabei war meine Studienzeit noch nicht einmal besonders angenehm gewesen, vier Jahre voller Stress und wenig Schlaf. Dennoch war ich zutiefst betrübt.
Und als ich dann mein erstes Auto verkauft habe, um mir einen Neuwagen zu gönnen, hat nicht etwa die Freude über ein Auto mit Muschitoaster überwogen, nein, ich habe tagelang getrauert, weil ich meinen alten Fiat in Zahlung gegeben habe. So bin ich, Paula Schmidt. Zumindest war ich mal so. Heutzutage schreibe ich Bewerbungen innerhalb von fünf Minuten und kündige mal ganz spontan meine Wohnung aufgrund von mündlichen Zusagen über eine unbekannte, halb fertige Wohnung auf dem Land, die ich noch nicht einmal besichtigen konnte. Aber spätestens nächste Woche will ich gucken gehen. Mit oder ohne Dreck.
Um fünf klingelt mein Feierabendwecker, und ich spiele kurz mit dem Gedanken, noch die restliche Post zu erledigen, die auf meinem Schreibtisch herumlungert. Immerhin habe ich einen Teil meiner Arbeitszeit mit der Wohnungskündigung und mit einem Pilz-Risotto verbracht, das Alina höchstpersönlich genau dreiundvierzig Minuten lang gekocht hat. Das Risotto war unfassbar lecker, und irgendwie hatte danach keiner mehr wirklich Lust zu arbeiten. Also haben wir noch ziemlich lang gemeinschaftlich um den großen Tisch in der Küche gehockt. Irgendwann gegen halb drei habe ich dann doch meinen Weg zurück ins Büro gefunden, und seitdem arbeite ich an einer neuen Bestellliste für Alinas Backwaren.
In dem Moment fällt mir ein, dass ich heute Abend mit meinen Mädels bei unserem Stammitaliener in der Innenstadt verabredet bin, und so beschließe ich, dass die Post warten kann und packe meine Sachen.
Bevor ich mich in die Öffentlichkeit begebe, muss ich mich allerdings dringend aufhübschen. Ich habe das unergründliche Bedürfnis, mir irgendeinen richtig schicken Fummel überzustreifen und die Lippen dunkelrot anzumalen. Ein sehr befremdliches Bedürfnis, wie ich zugeben muss. Ich bin mir noch nicht mal sicher, überhaupt einen farbigen Lippenstift außerhalb meiner Beige/Braun-Kollektion zu besitzen, aber ich glaube mich schwach erinnern zu können, dass Jutta mir mal etwas sehr Rotes zu einem Geburtstag geschenkt hat. Laut Jutta brauchen Frauen so etwas. Sie selbst schmückt sich regelmäßig mit einem deftigen Dunkelrot, und es sieht wunderbar an ihr aus.
Tief in einer der Schubladen meiner antiken Badezimmerkommode werde ich dann tatsächlich fündig. Der Lippenstift ist nicht nur rot, er ist signal-, feuerwehr- und blutrot in einem, und ich muss sagen: Die Farbe steht mir! Begeistert spitze ich die Lippen zu einem Kussmund und frage mein fremdes Spiegelbild, warum ich erst zweiunddreißig Jahre alt werden musste, um so ein verruchtes Farbkonzept umzusetzen. Vermutlich ist wieder einmal die Überdosis Östrogen schuld.
Vielleicht lag es aber auch einfach nur am bisherigen Mangel an Gelegenheiten. Olaf hat jegliche Farbexperimente meinerseits mit den ironischen Worten »Oh, seit wann habe ich denn einen Papagei im Haus?« zunichtegemacht. Außerdem war ich in meinem alten Job einfach zu oft von Ingenieuren und/oder BWL ern umringt, die auf rote Lippen und lackierte Fingernägel, sprich: geballte Weiblichkeit, reichlich verstört reagiert haben. Ingenieure und BWL er sind nämlich höchst sonderbare Wesen. Diese leicht verklemmten Sozialmuffel in babyblauen Hemden fangen gern mal an, heftigst zu hyperventilieren, und neigen zu feuchten Handflächen, wenn sich ihnen una bella figura mit Kussmund nähert. Das lässt sich halt nicht berechnen und ist daher potenziell erst mal gefährlich.
Erfreut werfe ich meinem Spiegelbild einen letzten Blick zu und stöbere dann durch meinen Kleiderschrank. Ich entdecke ein altes Strickkleid in Schwarz. Es passt wie angegossen und betont auch noch den Bohnenbauch sehr hübsch. Dazu hohe schwarze Stiefel und ein schwarzes Jackett. Ich finde mich wirklich gut gelungen und mache mich auf den Weg zu Il Cavaliere .
In diesem Lokal treffen wir uns schon seit Jahren. Luigi, der Inhaber, ist ein witziger Typ, das Essen fantastisch, und unsere zuweilen recht lautstarken Betrachtungen des Lebens – meist unter erheblichem Alkoholeinfluss – fallen in dem wuseligen Restaurant nicht weiter negativ auf.
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