Nicht die Bohne!
fühle ich mich emotional total erschöpft. Ein paar Tage lang verordnet die Öko-Gang mir schneefrei, dann bietet Simon an, mich zu fahren. Es gibt ein kurzes Gerangel, weil Edgar das große Bedürfnis verspürt, mich mit seinem schockroten Trecker abzuholen, aber die Öko-Gang ist sich dann doch einig, dass ein antiker Trecker bei minus acht Grad kein geeignetes Transportmittel für eine Schwangere darstellt. Also erhält Simon den Zuschlag für den täglichen Chauffeurdienst.
Erst ist mir das Ganze fürchterlich peinlich, immerhin bin ich eine gestandene Frau, der so ein paar Schneeflocken bisher nichts anhaben konnten, aber Simon versichert mir glaubhaft, mein Golf hätte auf dem kleinen Waldweg zum Hof eh keine Chance mehr und würde zwangsläufig im Graben landen. Also willige ich ein und bin tief in meinem Innersten unfassbar dankbar über diese Entwicklung, denn die Angst um die Bohne macht mich noch ganz kirre.
An diesem Mittwochmorgen Ende März – das Wetter zeigt sich vom eher frühlingshaften Datum höchst unbeeindruckt – hat Simon mir sogar einen Kaffee im Thermosbecher mitgebracht. Ich rutsche auf den beheizten Ledersitz des Land Rover, nehme einen tiefen Schluck und verkünde beschwingt: »Hier ziehe ich ein!«
Simon lächelt und deutet auf das Handschuhfach. Ich ziehe an dem Verschluss und zerre eine knisternde und duftende Bäckertüte hervor. Buttercroissants. Triefend vor Fett und noch ofenwarm. Mit einem Grunzen mache ich mich darüber her und manövriere dann glücklich kauend ein Stück des Gebäcks auch in Simons Mund.
»Ich bin durchaus gewillt zu teilen. Lass uns eine WG in deinem Auto gründen«, sage ich, während ich erneut abbeiße und mich dem Anblick der vorbeiziehenden weißen Landschaft hingebe.
Unsere gemeinsamen Fahrten zur Arbeit sind wunderschön. Simon sieht mehr als ich, vermutlich mehr als alle anderen Menschen auf dieser Welt, und er lässt mich daran teilhaben. Auf unserem Weg durch den Wald hält er manchmal an, um mir irgendetwas besonders Schönes zu zeigen. Einen Schneehaufen in Dinoform, frostig weiß gefrorene Äste an einer Weide, Schneefelder, die in der aufgehenden Sonne glitzern. Unsere kleinen Reisen sind geradezu märchenhaft und darüber hinaus auch noch extrem lehrreich. Vermutlich kann ich gegen Ende des Winters jede in Deutschland beheimatete Baumart nur an ihrer Rinde und den Astformen identifizieren.
Wenn ich mich nicht in Forstwirtschaft weiterbilde, schweigen wir einträchtig und hören Musik. Yann Tiersen ist für mich die Neuentdeckung des noch jungen Jahres. Verträumte Klaviermusik, Stücke voller Kraft und Emotionen. Leider dauert die Fahrt nur fünfzehn Minuten, und jedes Mal möchte ich meinen Fahrer an der Hofeinfahrt bitten, einfach wieder umzudrehen. Noch mal das Ganze!
Außerdem entdecke ich in Simons manchmal so sonderbarem Verhalten langsam ein System. Ihm scheinen zwei Verhaltensmodi zur Verfügung zu stehen: Simon, der Entdecker, der immer für eine Überraschung gut ist und mit dem ich so viel lachen kann wie noch nie zuvor mit jemandem in meinem Leben (die Mädels natürlich ausgenommen); und Simon, der Erstarrte, der die Welt ganz plötzlich ausschließt und sich in sein Schneckenhaus zurückzieht. Dann stellt er abrupt jegliche Kommunikation ein und dreht sich weg. Etwas, das Elena regelmäßig zur Weißglut treibt und zu Situationen führt, in denen die akute Gefahr von tief fliegenden Gegenständen besteht.
Etwas stimmt nicht mit ihm, das ist mir mittlerweile klar. Aber erstaunlicherweise kann ich es gut aushalten, nicht zu wissen, was das ist. Dafür ist dieses Beisammensein viel zu kostbar. Simon nimmt mich einfach so, wie ich bin. Mit meiner Ahnungslosigkeit der deutschen Flora gegenüber, meiner Glatteis-Phobie, den vielen Krümeln, die ich schon auf seinem Beifahrersitz hinterlassen habe, und meiner verzückten Freude über seine CD -Sammlung im Handschuhfach. Und mit der Bohne im Bauch.
Obwohl wir uns erst so kurz kennen, habe ich tiefes Vertrauen in ihn. Hm, das klingt jetzt sehr nach Sturm der Liebe oder wie diese romantischen Fernsehproduktionen sonst so heißen … aber es stimmt! Das ist ja das Sonderbare. Mir ist einfach noch nie jemand begegnet, dem ich, ohne vorherige Prüfung seines polizeilichen Führungszeugnisses, mein Leben anvertrauen würde. Denn wenn er etwas sagt, meint er es auch so. Und wenn er sagt, dass etwas funktioniert, dann funktioniert es. Und wenn er sagt, ich soll mir keine Sorgen machen,
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