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Nicht ganz sauber

Nicht ganz sauber

Titel: Nicht ganz sauber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Justyna Polanska
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erstaunt, dass sie meine Adresse herausbekommen hatte, dann aber fiel mir ein, dass sie in der Zeit, als ich mich endgültig von ihr verabschiedete, in der Nähe meiner Schwester gewohnt hatte. Sie waren damals beide nur ein paar Häuser voneinander entfernt. Also vermutete ich, dass sie einander auf der Straße in die Arme gelaufen waren und Marie auf diese Weise an meine Adresse kam. Ein Anruf bei meiner Schwester bestätigte meine Theorie.
     
    Als ich den Brief öffnete, erblickte ich neben einem mit Hand beschriebenen Blatt Papier einen Fetzen zusammengefaltete Alufolie. Sofort machte ich mich an die Arbeit und faltete die Alufolie auseinander. Der Inhalt fiel mir sprichwörtlich in den Schoß. Es handelte sich um einen Fünfzig-Euro-Schein, einen Zwanzig- und einen Zehn-Euro-Schein.
    Achtzig Euro.
    Mein restlicher Lohn, den Marie mir seit über zehn Jahren schuldig geblieben war.
     
    Also machte ich mich ans Lesen ihres langen Briefes:
»Liebe Justyna,
 
ich hoffe, Du erinnerst Dich noch an mich? Marie aus Belgien? Ich zumindest habe Dich nicht vergessen. Vor allem nicht, dass ich Dir immer noch Geld schulde. Dieser Umstand tut mir sehr leid, und ich schäme mich dafür.
Justyna, ich weiß: All die Dinge, die ich zu Dir gesagt habe, kann ich nicht mehr zurücknehmen. Ich erwarte auch nicht, dass Du im Nachhinein Verständnis für mein Verhalten aufbringst. Trotzdem möchte ich Dir erzählen, was damals alles in meinem Leben schiefgelaufen war. Dinge, die Du wahrscheinlich teilweise auch mitbekamst. Mein Mann hat mich unsere gesamte Ehe lang mit anderen Frauen betrogen. Er ließ mich und die beiden Jungs im Stich. War weder für die Kinder noch für mich da. Ich war so verletzt und verzweifelt. Und anstatt ihm klare Grenzen aufzuzeigen, habe ich meinen Frust an unschuldigen Menschen ausgelassen. An meinen Söhnen, an meinen Eltern und an Dir.
 
Dafür möchte ich mich aufrichtig entschuldigen. Nachdem ich von meinem Mann geschieden wurde, habe ich mich in Therapie begeben. Um meinen Schmerz und meine Enttäuschung zu verarbeiten. Erst dort wurde mir klar, wie ich die Erniedrigung, die ich erfahren hatte, eins zu eins weitergab. An Menschen, die rein gar nichts dafürkonnten …
 
Du warst einer dieser Menschen.
 
Ich war widerlich zu Dir. Bitte nimm das Geld an und verzeih mir.
 
Übrigens: Ich bin neulich auf ein Buch gestoßen. Ein Bestseller, den eine polnische Putzfrau geschrieben hat, die im Rhein-Main-Gebiet lebt und arbeitet. Und eine Figur in diesem Buch hat verdammte Ähnlichkeit mit mir.
 
Verstehe mich nicht falsch. Ich mache Dir deswegen keine Vorwürfe. Das geschieht mir wohl ganz recht. Es war ein Schlag in die Magengrube, zu lesen, was für ein Aas diese Marie aus Belgien doch war. Der zweite Schlag folgte unmittelbar in dem Augenblick, als ich verstand, dass es sich dabei um mich handelt. Aber Du hattest recht, Dir das von der Seele zu schreiben. So haben wir beide auf unsere ganz individuelle Art und Weise unsere Vergangenheit verarbeitet.
 
Justyna, ich wollte mich auf diesem Weg von Dir verabschieden.
Ich habe nach all den Jahren wieder gelernt, einem Mann zu vertrauen. Er kommt aus Ägypten. Und er behandelt mich gut. Mit ihm gehe ich zurück in sein Heimatland. Meine Jungs bleiben bei ihrem Vater hier in Deutschland. Sie hatten die Möglichkeit, mit mir zu kommen und dort auf eine internationale Schule zu gehen. Sie haben sich gegen ein Leben in einer fremden Kultur entschieden. Und damit gegen ein Leben mit mir.
Ich habe lange mit mir gehadert, ob ich trotz all dieser Widrigkeiten einem zweiten Leben eine Chance geben sollte, ohne meine Kinder. Und mich schließlich dafür entschieden.
 
Nun habe ich wahrscheinlich schon viel zu viel geschrieben. Justyna, ich wünsche Dir für Deine Zukunft alles Gute.
 
Gruß,
Marie O.«
    Unmittelbar als ich mit dem Lesen fertig war, verspürte ich den Wunsch, ihr kurz zu antworten. Ihr zu sagen, dass ich mich sehr über ihren Brief und ihre Ehrlichkeit gefreut hatte.
    Marie aber hatte keinen Absender hinterlassen. Weder auf dem Umschlag noch auf dem Brief an sich.
    Sie wollte also nicht in einen Dialog treten, sondern sich verabschieden und gleichzeitig keine verbrannte Erde hinterlassen. Ein schöner Zug von ihr.
     
    Marie war voller Hochmut. Sie war wohl einer der hochmütigsten Menschen, die ich jemals getroffen hatte. Und sie kam an einen Punkt, an dem sie mit dem Rücken an der Wand stand. Und einsah, dass es so nicht weitergehen konnte.

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