Nicht ganz sauber
Umzug koordinieren. Weil er mit einem gebrochenen Bein invalide war und sie beruflich zu eingespannt, um Kisten zu schleppen und den Umzugshelfern zu sagen, wo was hingehörte. Der Gedanke an diesen morgigen Job bereitete mir zusätzlich schlechte Laune.
Dann endlich erschien die Moderatorin. Eine sehr nette, bescheidene Frau mit langen schwarzen Haaren.
»Wir sind auf Sendung – in drei, zwei, eins …«
Dann hörte ich die eingespielte Melodie des Vorspanns, und keine dreißig Sekunden später waren wir live auf Sendung. Ich riss mich zusammen und wollte meiner Niedergeschlagenheit heute keine Plattform geben, daher motivierte ich mich von innen heraus.
Ich konzentrierte mich auf mein Gegenüber.
»Dann kommen wir auch schon zu meiner ersten Frage: Justyna, wo sehen Sie sich in fünf Jahren?«
»Wie bitte?«
»Wo sehen Sie sich in fünf Jahren?«
Auf diesen Satz war ich nicht gefasst. Er irritierte mich. Ich war auf ganz andere Fragen eingestellt. Das Neue daran war für mich, dass die Antwort auf jeden Fall etwas mit meiner Zukunft zu tun haben müsste und nicht mit meiner Vergangenheit. In meinem Buch und in all den damit verbundenen Interviews konnte ich stets aus meiner Erinnerung schöpfen. Von Ereignissen und Geschichten berichten, die ich bereits erlebt und die ihre Spur in meinem Gedächtnis und meiner Seele hinterlassen hatten.
Doch nun wollte die Moderatorin von mir eine Prognose. Einen Ausblick auf mein zukünftiges Leben. Das war für mich verdammt schwierig. Ich bin zwar kein Mensch, der von heute auf morgen lebt. Aber auch ich schiebe mal gern die langfristige Lebensplanung vor mir her. Weil ich mich damit auf Dinge festlege, die ich unter Umständen einmal bereuen würde.
Und festlegen konnte ich mich momentan einfach nicht. Zu spannend ist mein gegenwärtiges Leben, zu viel passiert in letzter Zeit, als dass ich sagen könnte, was ich in ein paar Jahren zu sein oder tun beabsichtige.
»Justyna?«
Mit ihrem ständigen Nachfragen machte es mir die Moderatorin auch nicht leichter. Also besann ich mich auf mein Bauchgefühl und meine innere Stimme. Ich schloss meine Augen, holte tief Luft und dachte nicht mehr allzu penibel nach über das, was ich nun antworten würde:
»In fünf Jahren sehe ich mich immer noch als ich selber, Justyna. In den kommenden fünf Jahren wird es keiner geschafft haben, mich zu verändern, zu biegen oder zu brechen. Ich werde nach wie vor für das einstehen, was ich tue und sage. Ob ich dann immer noch eine Putzfrau bin, weiß ich nicht. Das hängt auch maßgeblich davon ab, wie erfolgreich ich mit meiner zweiten Karriere bin.«
»Das heißt …«
Ich ließ der Frau keine Chance, eine Zwischenfrage zu stellen. Wie bei einem reißenden Strom schossen nun die Worte aus meinem Mund, als ob ich von irgendwoher ferngesteuert würde.
»Ja, das heißt, dass ich meine Arbeit als Putzfrau als meine erste Karriere ansehe. Denn hätte ich nicht geputzt, wäre ich nicht in Deutschland geblieben und hätte nicht meinen Mann geheiratet. Und hätte ich nicht angefangen, als Putzfrau zu arbeiten, hätte ich nie die Geschichte meines bisherigen Lebens zu Papier gebracht. Also wird das Putzen immer meine erste, meine eigentliche und meine ursprüngliche Karriere sein.«
»Bereuen Sie …«
»Nein, ich bereue keine einzige Sekunde.« Die Frau war heute so gut wie arbeitslos, aber ich konnte dem Impuls, mir diese Dinge von der Seele zu reden, nicht Einhalt gebieten. »Ich habe in den letzten zwölf Jahren wunderbare Menschen kennengelernt. Ich habe Dinge erlebt, von denen andere nur träumen können, Alpträume eingeschlossen. Abends, wenn ich von meinen Kunden nach Hause gehe, habe ich das Gefühl, lebendig zu sein. Am Leben. Denn jeder Tag in meiner Welt ist anders. Nie wird es langweilig. Ich bin gezwungen, mich immer wieder auf neue Menschen und deren Zuhause einzulassen. Ich werde honoriert für das, was ich tue. Heute mehr als gestern. Könnte ich noch einmal von vorne anfangen, ich bin mir nicht sicher, ob ich es unbedingt anders machen würde. Und selbst wenn, wäre das auch kein Problem. Denn es würde mich nicht verändern.
Ich bin nicht, was ich bin – eine Putzfrau.
Sondern, wer ich bin – Justyna aus Polen.«
Die Moderatorin hielt eine Weile inne, während ich nach meinem Glas griff und einen großen Schluck Wasser nahm.
Dann sah sie mich an und sagte:
»Ich denke, Sie
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