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Nicht ganz schlechte Menschen

Nicht ganz schlechte Menschen

Titel: Nicht ganz schlechte Menschen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Krausser
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Abend in der Cosy-Bar, um kultivierte Freigeister kennenzulernen und im
einschlägigen Kreis Werbung für das in Kürze generalrenovierte Monbijou und dessen diskrete Spezialtarife zu machen. Das Hotel bekam eine komplett neue
Kücheneinrichtung, einen neuen Putz, neue Matratzen, neue Zimmerbeleuchtungen,
neue Teppichböden. Einige Wände zwischen den Zimmern wurden niedergerissen,
damit Suiten entstanden. Bettgestelle, die teilweise über sechzig Jahre alt
waren, wurden ebenso ersetzt wie die veralteten Steckdosen. Als besonderer Clou
wurden in ausgewählten Zimmern kleine Kühlschränke installiert, mit Getränken
zu weit überteuerten Preisen. In einigen der Pariser Luxushotels hatte sich das
als überraschend lohnende Investition erwiesen. Max dachte sich sogar etwas
Eigenes aus. Drei der nun nur noch dreißig statt vierunddreißig Zimmer sollten
Nichtraucherzimmer werden, es gab immer mehr Menschen, die Wert auf so etwas
legten. In den Suiten sollte der Gast über ein eigenes Radiogerät verfügen
können und über eine Badewanne. Xavier hatte all diese Vorschläge schweigend
akzeptiert, als fehle es ihm an Lust, auszutesten, welches Gewicht seine Stimme
noch besaß. Pierres einzige Vorgabe war gewesen, daß die Kosten insgesamt nicht
mehr als zweihunderttausend Francs betragen dürften. Wie es aussah, war es Max
gelungen, genügend günstige Verträge auszuhandeln, um mit drei Vierteln der
Summe auszukommen.
    Julie Geising hatte das Hotel stets gehaßt und sich geweigert, einen
Fuß hineinzusetzen. Für Pierre hatte es den Versuch dargestellt, unabhängig vom
Wohlstand seiner Frau Erfolg zu haben. Was ihm nicht immer geglückt war.
Mehrere Male war das Hotel hart an der Pleite entlanggeschrammt, und daß Pierre
nun das Geld seiner Frau in die Renovierung steckte, gewährte ihm eine kleine
Rache. Inzwischen war er fest überzeugt davon, daß Julie nicht einsam gestorben
war – auch wenn er den Beweis dafür wohl nie bekommen würde. Er legte keinen
Wert auf Nachforschungen, um nicht in dieser oder jener Weise enttäuscht zu
werden. Es lebte sich befreiter mit einer Toten, gegen die man ein wenig – und
nicht zuviel – Groll hegen konnte.
    In der Pariser Tageszeitung war ab Juli 1936 Klaus Manns Mephisto als Fortsetzungsroman abgedruckt worden, immer auf der vierten und letzten
Seite. Max hatte in das Werk ein paarmal hineingelesen, ohne Genuß, es erschien
ihm stilistisch fragwürdig und politisch so einseitig wie boshaft. Wie konnte
Klaus Mann denn wissen, aus welchen Motiven Gründgens, denn der war
offensichtlich gemeint, in Deutschland blieb? Vielleicht ja, um dort, im
stillen, Gutes zu bewirken. Als gefeierter Schauspieler und Intendant verfügte
man über Möglichkeiten, die man beim Gang über die Grenze ungenutzt abgab. Der
Roman hatte etwas an sich, was Max an linker Gesinnung stets angewidert hatte:
Selbstgefälligkeit, das Zufriedensein darüber, sich mit einigen humanistischen
Grundsätzen aus dem Poesiealbum unangreifbar auf der Seite des Guten und Wahren
zu wissen. Eine preiswerte, primitive Position, die es jedem Sonntagsdenker
erlaubte, tiefer reflektierende Zeitgenossen als weltfremde Schwärmer zu
diffamieren, oder als Dulder, wenn nicht gar Sympathisanten des Bösen. Zudem,
das pfiff jeder Pariser Spatz vom Dach, war Klaus Mann homosexuell, wie Gustav
Gründgens auch. Es mochte sich wer weiß was zwischen den beiden abgespielt
haben. Nein, als Autor hatte der Sohn des Nobelpreisträgers wenig Eindruck auf
Max gemacht.
    Um so mehr war er vom Menschen Klaus Mann überrascht, den er
zufällig kennenlernte, an einem Abend in der Cosy-Bar. Es schwappte und
schubste sich eine Blase von Bewunderern um den besten Platz in der Nähe dieses
gut – oder zumindest interessant aussehenden Schriftstellers. Max fiel es
zuerst nicht auf, anderen sofort. Beide, Max Loewe wie Klaus Mann, besaßen eine
ganz ähnliche Ausstrahlung, fragil, melancholisch, vergeistigt, still und ohne
triftigen Grund leidend, getrieben von der Sehnsucht, geistigen Halt zu finden
in einer Welt, die jedem Individuum über den Kopf wuchs oder, besser gesagt,
über alle Köpfe hinwegrollte, rücksichtslos. Dank seiner wenn auch objektiv
geringen Berühmtheit hatte sich Klaus Manns Ausstrahlung bereits in eine Art
Aura verwandelt, während Max Loewe allenfalls Eindruck hinterlassen konnte, nur
eben keinen großartigen. Als wären sie beide gleichgepolte Magnete, die sich
abstoßen mußten, kam es zu einem kurzen, belang- und

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