Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nicht ganz schlechte Menschen

Nicht ganz schlechte Menschen

Titel: Nicht ganz schlechte Menschen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Krausser
Vom Netzwerk:
trug
er fast nie mehr, selbst wenn er am Abend schicke Lokale oder die Oper
besuchte. Die Zeit der Zylinder schien vorüber zu sein.
    Karl
saß nach Mitternacht in seinem Kämmerchen, feilte noch an seinem Rapport, als
Mila hereintrat und ihm um den Hals fiel, gutgelaunt und ausgelassen,
strahlend, ein überwältigender Ausbund an Lebenslust.
    Frauen, dachte er, können altern und trotzdem noch um einiges
schöner werden, klüger und begehrenswerter, können an Persönlichkeit, Charme
und Charisma gewinnen. Aber den Zauber, den ein Mädchen mit geröteten Wangen
verströmt, wenn es von einem augenblicklich starken Gefühl gelenkt wird und ihr
Körper dabei kaum sichtbar zittert und tanzt – dieses Elixier-Sein, diese
hochansteckende Blüte, ist ihnen nur wenige Jahre lang gegeben. Karl, hilf- und
wehrlos umzingelt vom Glück, trat Schweiß auf die Stirn und Wasser in die
Augen. Ein Wesen wie Mila an seiner Seite einzuordnen, welches Selbstbewußtsein
wäre dazu nötig gewesen? Seines reichte nicht aus.
    So kam es, daß er ihre Liebkosungen scheinbar gleichgültig zu dulden
schien und seine Verlegenheit verbarg, indem er im Text, obwohl er kaum klar
denken konnte, letzte Verbesserungen vornahm. Mila rümpfte die Nase.
    Du – sag mal, hier stinkt es. Sie deutete auf den Pißpott. Hast du
gekotzt?
    Hab ich. Mußte sein. Moment noch! Wiewohl Karl der Geruch peinlich
war, wirkte die Art, wie er damit umging, auf Mila souverän.
    Hast du was Schlechtes gegessen?
    Wahrscheinlich.
    Nein, ich hab etwas Übles erfahren, hatte Karl ursprünglich sagen
wollen. Gerade noch rechtzeitig fiel ihm ein, daß momentan vielleicht nicht der
beste Zeitpunkt war, über Ines zu reden und Milas Eifersucht zu provozieren. Er
signierte seinen Rapport, seufzte laut auf, wie von einer Zentnerlast befreit.
Er griff Mila, ohne sie anzusehen, um die Hüfte, zog sie zu sich und genoß ihre
Zungenspitze an seiner. Alles war wie im Traum, von einer verrückten Logik
unterlegt.
    Ich hab Hunger. Gehn wir in die Kantine?
    Karl trug fünfundzwanzig Peseten bei sich. Kalter klebriger Eintopf
war mit diesem Umstand unvereinbar, er wollte sein Mädchen ausführen und
verwöhnen. Nur der blöde Krieg stand dem im Weg. Um diese Uhrzeit hatten in
Barcelona keine Restaurants mehr offen.
    Ich könnte uns, sagte Karl, Nudeln auf italienische Art machen. Ich
habe Salz, Olivenöl und eine Dose Tomaten.
    Mila fand den Vorschlag romantisch.
    Ich hab mein Beutelchen Gewürz! Dann laß uns zu dir gehen und wir
besorgen aus der Kantine noch Wein!
    Einverstanden!
    Das Leben konnte so einfach sein. Karl nahm in jener Nacht das Glück
wie etwas Selbstverständliches wahr, als hätte das Schicksal ein Gehirn und
Gewissen und hielte es für nötig, das Fehlen von Ines irgendwie auszugleichen.
Mila war nicht wie so viele deutsche Mädchen, die herumgezickt und entweder
Bedingungen oder etwas in Aussicht gestellt hätten, das sie dann im letzten
Moment bereuten und verweigerten. Mit ihr um halb zwei Uhr nachts Nudeln zu
essen, war der Himmel auf Erden, ein intimer Akt, der der Seele mehr als dem
Magen galt.
    Als Karl das wundervolle Geschöpf zu küssen und zu entkleiden
begann, machte es keinerlei Anstalten fortzulaufen, im Gegenteil, Mila drängte
ihn zur Eile, sie gab sich ihm hin, weil sie es wollte, als wäre damit, ohne
langes Nachdenken, dem Natürlichsten der Welt Tribut gezollt.
    Während der Schließung des Monbijou wollte Pierre mit
Ellie eine kleine Reise unternehmen, in die Normandie vielleicht. Sie hatten
seit dem Renovierungsbeschluß nicht mehr zusammen geschlafen, und überhaupt nur
ein einziges Mal seit Julies Tod. Er meinte, daß es doch genüge, wenn Max die
Bauaufsicht übernähme, zwei Augen sähen da auch nicht viel weniger als vier.
Ellie hielt dem entgegen, daß sie sich schäbig vorkäme, ihrem Bruder die Arbeit
zu überlassen, während sie selbst sich am Meer amüsieren würde, das gehe nicht,
das müsse er einsehen. Es kam dann auch nur zu einem Ausflug nach Versailles,
wo sie Pierre in einem Gebüsch mit der Hand befriedigte, um wieder eine Weile
lang Ruhe zu haben. Ellie verkehrte dabei nicht ungern mit ihm, er war ein
begnadeter Kniekehlenküsser und in oralen Techniken auch sonst versiert. Ihr
ging es darum, nicht ständig verfügbar zu sein und die Beziehung auf kleiner
Flamme am Köcheln zu halten. Weswegen sie die Spröde, meist Lustlose gab und
ihre Gunst strikt rationierte.
    Max suchte auf seine Weise Entspannung. Oft verbrachte er
den

Weitere Kostenlose Bücher