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Nicht ganz schlechte Menschen

Nicht ganz schlechte Menschen

Titel: Nicht ganz schlechte Menschen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Krausser
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wieder Hoffnung auf einen glücklichen
Ausgang des Ganzen.
    Erstaunlich schnell normalisierte sich das Leben in der
Zwei-Millionen-Stadt, als wäre da nichts weiter gewesen. Am Abend des achten
Mai gingen Karl und Mila wieder zur Arbeit ins Hotel Colón . Dort stand
noch das Maschinengewehr, mit dem die Parteizentrale heroisch verteidigt worden
war. Aus dem ersten O des mannshohen Schriftzugs von Colón heraus hatte es
Salve um Salve auf die Plaza Catalunya abgefeuert. Nicht einmal eine
Beerdigungsprozession hatte passieren dürfen. Es gehörte zu den
Selbstverständlichkeiten eines Krieges, daß man all dies auch anders,
tendenziöser formulieren konnte.
    Vor seinem Dienstantritt unternahm Karl noch einen Spaziergang zum Continental ,
wo er sich nach Mrs. Blairs Wohlergehen erkundigen wollte. Mila gegenüber ließ
er dies unerwähnt, sie mußte davon nichts wissen, es hätte ihr nur unnötige
Eifersuchtsschmerzen bereitet.
    Mrs. Blair saß in der Lobby und las in einer Illustrierten. Neben
ihr, das war überraschend, hockte Eric und schrieb etwas in ein Notizbuch. Karl
hätte beinahe kehrtgemacht, doch seine Neugier übertraf sein schlechtes
Gewissen. Er machte das Paar hüstelnd auf sich aufmerksam. Eric sah ihn an,
schnellte aus seinem Sessel und umarmte Karl wie einen alten, wertvollen
Freund.
    Wir haben, sagte Eric, viel Angst um dich gehabt. Karl meinte, ihm
sei es umgekehrt ja genauso ergangen. Er trug ein Pfund Reis als Geschenk bei
sich, als Tauschgut bestimmt zehn Zigaretten wert. Die Blairs wirkten gerührt.
Eric war seit wenigen Tagen auf Fronturlaub, und Eileen , endlich erfuhr
Karl ihren Namen, hatte das Glück gehabt, die Familienkasse mit ein paar
Schreibarbeiten aufbessern zu können. Wir kommen zurecht, meinten beide, als Karl
ihnen großspurig seine Unterstützung anbot. Eric erzählte von seinen
Kriegserlebnissen, Karl, obwohl ihm das strikt verboten war, von seiner
Tätigkeit beim Radio. Politische Erörterungen wurden instinktiv vermieden,
soweit ging die Vertraulichkeit dann doch nicht. Erics sehr detaillierte und
anschauliche Berichte der Plagen, mit denen die Soldaten in den Schützengräben
zu kämpfen hatten, nämlich der Kälte, dem Kotgestank, den Läusen, den Moskitos,
dem Tabakmangel, der Papierknappheit, der Langeweile, den veralteten
Schießprügeln und, last but not least, den Glückstreffern feindlicher
Scharfschützen, bestärkten Karl nur noch mehr in der Einsicht, daß ein solcher
Krieg seine Sache nie gewesen wäre. Und er zollte Eric, der nach Ablauf seines
Urlaubs freiwillig dorthin zurückkehren wollte, großen Respekt.
    Es war schließlich Eileen, die Karl flüsternd auf das Mädchen
hinwies, das neben dem Eingang stand und seit einiger Zeit das Trio
beobachtete. Ob er sie kenne? Karl drehte sich um und sah Mila. Erst machte sie
Anstalten, das Hotel zu verlassen, dann, als sei es dafür zu spät, kam sie
näher, sagte Hallo und:
    Was machst du denn hier?
    Viel eher
wäre es doch an ihr gewesen, zu erklären, was sie hier machte. Karl fühlte sich, wobei auch immer,
ertappt und ausspioniert, offenbar hatte Mila ihn verfolgt. Ein starkes Stück.
Aber er wahrte die Fassung.
    Das ist meine Freundin, sie ist Italienerin, heißt Mila. Wenn ich
vorstellen darf – Eric und, wie war noch der Name, sorry?
    Karl hatte
Eileens Namen nicht etwa vergessen, aber er spielte die Angelegenheit
herunter, so gut es irgend ging.
    Ich wollte nicht stören, sagte Mila. Ich habe mich nur gewundert.
    Worüber? – hätte Karl beinahe gefragt. Und unterließ es. Ein solches
Gespräch drohte in die falsche Richtung zu laufen.
    Franz, wir müssen zum Dienst.
    Ist es schon so weit? Karl sah auf die Uhr. Es war noch nicht einmal
halb acht. Er bemerkte, wie Erics und Eileens Brauen zuckten, und lieferte eine
Erklärung.
    Franz ist mein Spitzname, weil ich immer, ja, naja, es hat was mit Radio France zu tun.
    Er sah in den Augen seiner englischen Freunde, daß eine geistige
Barriere entstanden war. Man hatte allen Grund, mißtrauisch zu sein gegenüber
Deutschen, die mit diversen Namen operierten. Laut Gerüchten gab es überall in
Spanien Gestapo-Agenten, die gezielte Mordanschläge auf Exilanten verübten. Die
Stimmung schien irreparabel verdorben. Karl entschuldigte und verabschiedete
sich. Der Hand-Shake fühlte sich schlaff an, Mila gab niemandem ihre Hand und setzte nur ein
gequältes Lächeln auf. Dann gingen sie und Karl hinaus in den noch hellen Tag,
liefen eine Zeit lang schweigend nebeneinander

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