Nicht ganz schlechte Menschen
Valencia rief zur Waffenruhe auf
und entsandte zwei der drei anarchistischen Minister nach Barcelona. Ihr
Schlichtungsversuch blieb erfolglos.
Auf
der Plaza España ergaben sich 400 Gardisten, und am 4. Mai beherrschte die
anarchistische Miliz einen Großteil der Stadt, stieß jedoch in einigen Vierteln
des nördlichen Zentrums auf erbitterten Widerstand. Es wäre einfach gewesen,
diesen Krieg im Krieg zu beenden, hätte die Regierung die beiden wesentlichen
anarchistischen Forderungen erfüllt: die Rückgabe der Telefónica und die
Entwaffnung der allseits verhassten Sturmgardisten. Die Volksarmee blieb die
ganze Zeit über neutral, hielt sich aus allen Gefechten heraus.
Während
eines kurzen Waffenstillstands von kaum zwei Stunden füllten sich die Straßen
rasend schnell mit Menschen, die irgendwelche Lebensmittel besorgen wollten.
Aber inzwischen war sogar das Olivenöl knapp, das in Spanien ein Dutzend
Funktionen erfüllt.
Karl
und Mila setzten drei Tage lang keinen Fuß vor die Tür, gaben aufeinander acht
und kuschelten viel, mangels vernünftiger Alternativen. Mila hielt die
Ungewißheit kaum aus, ihre einzige Informationsquelle bestand aus Nachbarn, die
sich aus irgendwelchen Gründen den Brandherden der Kämpfe genähert und überlebt
hatten. Von den Dächern ergieße sich ein Kugelhagel auf ausnahmslos jeden, es
gebe keine Menschen mehr, nur Ziele. Karl mußte trotz alledem ein Machtwort
sprechen und den Beschützer herauskehren, um Mila daran zu hindern, zum Hotel Colón , dem Hauptquartier der PSUC , zu rennen, wo sie sich auf irgendeine Weise nützlich machen wollte.
Karl redete mal derb und grob, mal mit Engelszungen auf sie ein, um ihr
klarzumachen, daß dies keine Zeit für Vorstöße ins Nichts sei. Jeder
Aktionismus, und sei er noch so gut gemeint, komme einem Himmelfahrtskommando
gleich. Nur Idioten, meinte er, deren Leben partout nichts wert sei,
Hampelmenschen, würden versuchen, sich in diesem Chaos zu positionieren und den
Helden zu spielen.
Aber unsere Kameraden, entgegnete Mila mit schriller Stimme, werden
abgeschlachtet, willst du – kannst du – mit gutem Gewissen hier herumsitzen?
Ja. Das kann ich. Ich kann vielleicht nicht viel, aber das schon.
Die
Zentralregierung entsandte sechstausend Mann Bereitschaftspolizei, eine
Eliteeinheit, um den Aufstand der Arbeiterklasse, der von großen Teilen der
Weltpresse als unvernünftig, ja als Terrorakt bezeichnet wurde,
niederzuschlagen. Dennoch wäre der Ausgang der Gefechte nicht vorherzusagen
gewesen. Etwas völlig Unerwartetes geschah. Die Führung der Anarchisten sowie
ihre Gewerkschaft und sogar Funktionäre der POUM riefen ihre Leute dazu auf,
die Waffen niederzulegen und zurück an die Arbeit zu gehen. Dem sinnlosen
Bruderkrieg sollte ein Ende bereitet werden. Nicht alle folgten der Weisung,
doch genug, um den möglichen schnellen Sieg aus der Hand zu geben. Am 6. Mai
wurden einige prominente Anarchisten in ihren Wohnungen von Sturmgardisten
ermordet. Tags darauf trafen die sechstausend Elitekämpfer aus Valencia ein und
übernahmen die Kontrolle über die Stadt. Diese Sturmgardisten waren mit jenen
katalanischen gleichen Namens nicht vergleichbar. Sie waren schon von Statur
und Uniform her viel imposanter. Handverlesene Männer, gut ausgebildet und mit
modernsten Gewehren ausgerüstet. Die Bevölkerung freundete sich mit ihnen
schnell an, sie wurden von vielen als Befreier wenn nicht gefeiert, so doch
empfunden. Bald flatterten zum ersten Mal republikanische Fahnen von den
Dächern statt roter und rot-schwarzer.
Daß
es insgesamt nur etwa vierhundert Tote zu beklagen gab, lag daran, daß von
beiden Seiten keine Artillerie eingesetzt wurde und sich die Parteien
beschossen und belagerten, aber auf Sturmangriffe verzichteten.
Die
Macht der Anarchisten war fortan gebrochen.
La Batalla
, ihre Zeitung, erschien
zwar noch, aber so heftig zensiert, daß sie fast leere Seiten anbot. Das Ende
der POUM mit ihren nur zehntausend Kämpfern, die fast alle an der Aragon-Front
lagen, schien nurmehr eine Frage von Wochen. Die Kommunisten hatten endgültig
das Sagen und übernahmen auch die Verantwortung in der Zentralregierung. Auf Dauer
würden sie niemanden neben sich dulden und den geringsten Anlaß nutzen, sich
ihrer Konkurrenten zu entledigen.
Karl
und Mila waren euphorischer Stimmung. Die Lage schien geklärt und der Krieg
konnte in eine neue Phase treten, von allem Kinderkram und Morast befreit.
Endlich wurde durchgegriffen. Es gab
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